Heute, an dem 70. Jahrestag der Reichskristallnacht (eigentlich stimmt das nicht ganz. Die Reichskristallnacht war am Vorabend des 16. Marcheschwán 5698, der dieses Jahr, 2008, erst mit dem 13. November zusammenfällt, aber es sind immerhin genau 70 Sonnenjahre vorbei) wurde die neue Synagoge in Lörrach eingeweiht. Ich habe die Ehre gehabt, als rabbinischer Berater, dieses Projekt teilweise mitgestalten zu dürfen – einige Bilder findet man am Ende dieses Blog-Posts – und sprach heute zur Einweihung die folgende Grussbotschaft:
Vor siebzig Jahren, am Vorabend des 16. Marcheschwán, der in jenem Jahr mit dem 9. November zusammenfiel, entweihten Menschen, die ja durch die heilige Prägung G“ttes erschaffen wurden (siehe Raschí zu Berejschít 1:26), sich selber und verwandelten sich in die böseste Art Bestie, die die Menschheit je kannte. Diese Menschen entfesselten den grössten Gräuel, die schlimmste Gewalttätigkeit, die sie während sechs Jahre bereits vorbereitet und gepflegt hatten. Die dunkelste Ära der jüdischen und der Weltgeschichte brach ein, die sieben Jahren dauerte, während der sechs Millionen unserer Brüder und Schwester ermordet und in den Tod geführt wurden; unter denen waren meine väterliche Grossmutter mit ihrem Bruder und seiner Familie, mein väterlicher Grossvater mit sieben von seinen acht Geschwistern, und viele, viele mehr.
Verheerende Tragödien waren dem jüdischen Volk schon längst bekannt. Seine Geburstwehen wurden genau während des Exils und der Unterdrückung der ägyptischen Sklaverei gefühlt, als die Familie des Stammvater Ja’akóws sich genau dann zum jüdischen Volk wurde. Seither erfuhr dieses Volk wiederholt den Gräuel der Unterdrückung, an Hand einer Vielfalt an Feinden, die seither grösstenteils längst von der Bühne der Geschichte verschwunden sind, während das jüdische Volk fortlebt, in Erfüllung des Verses וְאַף־גַּם־זֹ֠את בִּֽהְיֹותָ֞ם בְּאֶ֣רֶץ אֹֽיְבֵיהֶ֗ם לֹֽא־מְאַסְתִּ֤ים וְלֹֽא־גְעַלְתִּים֙ לְכַלֹּתָ֔ם לְהָפֵ֥ר בְּרִיתִ֖י אִתָּ֑ם כִּ֛י אֲנִ֥י ה’ אֱ־לֹהֵיהֶֽם׃ – Jedoch, wenn sie gleich in der Feinde Land sein werden, so werde ich sie nicht gar verwerfen und sie nicht also verabscheuen, dass ich sie gar aufreibe oder meinen Bund mit ihnen breche; denn ich bin HaSchém, ihr G-tt-Allmächtiger.
Zwischen der Morgendämmerung des jüdischen Volkes und den Schreckenszeiten von vor 70 Jahren haben wir Juden insbesondere erlitten:
und noch vieles mehr.
Die Zerstörung Europas durch die Nazis und ihre Unterstützer – sowohl die aktiven als auch die passiven, schweigenden Unterstützer – zeichnet sich ab in dem sie den alten Hass mörderischer und grausamer verwirklicht denn je.
Unsere Weisen des heiligen Talmúd zitieren die Bemerkung des Rabbi Jochanán zum Thema des universalistischen Charakters des Tempeldienstes am Laubhüttenfest, als während einer besonderen Woche siebzig Stiere den Nationen der Welt zuliebe geopfert wurden:
א”ר יוחנן אוי להם לאומות העולם שאבדו ואין יודעין מה שאבדו בזמן שבהמ”ק קיים מזבח מכפר עליהן ועכשיו מי מכפר עליהן?
Sagt Rabbi Jochanán: Weh den Völkern der Welt, die nicht verstehen, was sie verloren haben. Solange der Tempel stand, brachte sein Altar ihnen Verzeihung. Wer bringt ihnen jetzt Verzeihung, nun, da der Tempel zerstört ist?
Rabbi Me’ir Simchá haKohén aus Dvinsk, als er sich mit dem wachsenden Antisemitismus seiner Zeit auseinandersetzte – er stirbt 1926 –, kommentierte auf dem obigen Zitat Rabbi Jochanán und jammerte, dass solange Juden frei ihre Religion ausüben konnten, der Vers כָּל־תִּשָּׂ֤א עָוֹן֙ וְקַח־טֹ֔וב וּֽנְשַׁלְּמָ֥ה פָרִ֖ים שְׂפָתֵינוּ „Vergib alle Schuld und nimm es gut auf, dass wir die Stiere mit unseren Lippen ersetzen!“ (Hosché’a 14:3) in Kraft war. So brachten unsere Gebete, die zwar viel weniger bedeuten als der G“ttesdienst im noch immer zerstörten Tempel Jerusalems, doch ein gewisses Mass an Verdiensten, Heiligkeit und Trost sowohl dem jüdischen Volk als den Völkern der Welt. Seit wir aber unterdrückt und vertrieben, und unsere G“tteshäuser entweiht, ja sogar zerstört wurden, wurde sogar dieses bisschen Licht ausgeblendet.
Und heute, siebzig Jahre nach dem Anfang der dunkelsten Zeit der Weltgeschichte, siebzig Jahre nachdem Menschen sich in Bestien verwandelten, haben Juden und Nichtjuden sich zusammen verbunden, um dieses Haus G“ttes zu bauen und einzuweihen, in diesem Land, von dem die Zerstörung damals ausging. Unser Tempel ist noch immer zerstört, und neue Antisemiten versuchen sogar zu verneinen, dass es diesen Tempel auf dem Tempelberg in Jerusalem je gab, aber hier wurde ein Zeichen dafür errichtet, dass die Zeit gekommen ist, dass die Menschheit wirklich umkehrt, dass sie nicht nur aufhört zu zerstören, sondern dauernd wieder aufbaut.
Ich begrüsse all die, die beigetragen haben zum Bau dieses G“tteshauses, sowie all die, die in diesem Haus G“tt dienen werden, und ich segne in Ihrer Anwesenheit mit den Worten des König Davids:
וַיְבָ֤רֶךְ דָּוִיד֙ אֶת־יְהוָ֔ה לְעֵינֵ֖י כָּל־הַקָּהָ֑ל וַיֹּ֣אמֶר דָּוִ֗יד בָּר֨וּךְ אַתָּ֤ה יְהוָה֙ אֱלֹהֵי֙ יִשְׂרָאֵ֣ל אָבִ֔ינוּ מֵעֹולָ֖ם וְעַד־עֹולָֽם׃
Und David pries HaSchém vor den Augen der ganzen Versammlung, und David sprach: Gepriesen seiest du, HaSchém, G“tt-Allmächtiger unseres Vaters Israel, von Ewigkeit zu Ewigkeit! (Diwréj haJamím I, 29:10)
Jischkojech! Very good and important speech
Best regards
Alain
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Ferienpark