Das Wort Chanukká, mit dem wir die Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels bezeichnen, hängt etymologisch mit Chinnúch ‘Erziehung’ zusammen. In der Tat sind zentrale Themen von Chanukká ebenso zentral für unsere jüdischen Vorstellungen von Erziehung.
In seinem Brief an die Juden in Jemen erwähnt der Rambam (Maimonides) kurz, wie Antiochus Epiphanes versuchte, das Judentum – und damit indirekt das jüdische Volk – zu zerstören:
Und wisset, meine Brüder, dass […] das böse Königreich der Griechen,1 als es in [der Zeit des] zweiten Bejt ha-Mikdásch siegreich wurde, schwere Zwangsmassnahmen gegen Israel dekretierte, um die Torá abzuschaffen. Sie verlangten von ihnen [d.h. den Juden], den Schabbat zu entweihen und die Beschneidung zu unterlassen. Und jeder Jude sollte auf seine Kleidung schreiben, dass er keinen Anteil am Gott Israels habe, und das Gleiche sollte er auf das Horn seines Ochsen einritzen, und erst dann durfte er mit ihm pflügen. Diese Massnahmen galten zweiundfünfzig Jahre, und dann hob Gott ihre Herrschaft auf und ebenso ihre Gesetze.2
Josephus beginnt sein Werk Der Jüdische Krieg mit einem ähnlichen Bericht.3 In seinem Ma’amár ‘al Kiddúsch ha-Schem sagt der Rambam ferner:
[…] wir wissen auch, was Israel während der bösen griechischen Herrschaft geschah, und kennen die schwierigen und boshaften Erlasse. Dazu gehörte das Verbot, die Haustüre zu schliessen, damit niemand allein sein und irgendeine Mizwá erfüllen konnte.4
Zu dem Angriff der Hellenisten auf das Judentum gehörte das Verbot jener Traditionen, die klar verwirklichen, was wir sagen, wenn wir für eine ‘Alijá zur Séfer Torá gehen, und was wir sogar alle, Männer und Frauen gleichermassen, zu Beginn des Morgengebets sagen: אֲשֶׁר בָּחַר בָּנוּ מִכָּל הָעַמִּים, dass Gott uns auserwählt und von allen anderen Völkern unterschieden hat, damit wir in Seiner Schöpfung eine besondere Rolle spielen. Die Hellenisten wollten die Besonderheit Israels auslöschen, seine Heiligkeit entweihen und das jüdische Volk durch Assimilation vernichten.
Zeit, Raum und Mensch sollten entweiht werden, alles, was daran jüdisch war, sollte ausgerottet werden. So wurde es verboten, den Schabbat zu halten und den Neumond zu heiligen, womit vielleicht die Einhaltung der Feiertage insgesamt unmöglich gemacht werden sollte. Auf diese Weise wurde die jüdische Zeit entweiht. Ein dem Zeus gewidmeter Götze wurde in unserem heiligen Tempel aufgestellt (wie berichtet wird, sogar auf dem heiligen Misbéach, dem Altar), und das jüdische Haus wurde (durch die erwähnten offenen Türen) zu einem öffentlichen Raum gemacht. Das war die Entweihung des jüdischen Raums. Und schliesslich wurde die Beschneidung verboten und der Verzehr von Schweinefleisch angeordnet, sogar im heiligen Tempel, um den Körper des jüdischen Menschen zu entweihen.
Angesichts dieser Massnahmen führten die Chaschmona’ím eine Revolte an. Nicht die politische Herrschaft von Antiochus und den Seleukiden veranlasste sie dazu, sondern die Entweihung der Juden und des Judentums. In ihrer Empörung und ihrem Festhalten an Torá und Mizwót waren sie nicht allein. Ein grosser Teil der Bevölkerung stand hinter ihnen.5
Matitjáhu, der Kohén Gadól, seine Söhne und das jüdische Volk bewahrten damals mit grossem Einsatz das Judentum für uns. Sie brachten sich in Gefahr, um unverfälschtes Judentum leben zu können, und oft verloren sie dabei ihr Leben. Seitdem haben die nachfolgenden Generationen auf den Schultern von Riesen gestanden, auf den Schultern der Chaschmona’ím, und dank diesem Vorbild und der Ablehnung der Seleukiden und ihrer hellenistischen Weltanschauung konnten sie ihrem Judentum treu bleiben.
Während der gesamten Geschichte haben Juden mit enormer Selbstaufopferung verstanden, dass das wichtigste Geschenk, das eine jüdische Familie ihren Kindern geben kann, eine jüdische Erziehung ist. Kinder lernen Judentum – nicht über Judentum oder die Wissenschaft des Judentums, sondern Judentum selbst. Und bei dieser Erziehung haben wir eine Einsicht akzeptiert, die wir Antiochus Epiphanes verdanken: Wir müssen solchen Aspekten des Judentums Vorrang geben, die unsere jüdische Identität stärken und auf positive Weise betonen, was besonders daran ist, jüdisch zu sein, und welche Verantwortung mit dieser Identität verbunden ist. אֲשֶׁר בָּחַר בָּנוּ מִכָּל הָעַמִּים.
Heute müssen wir, Gott sei Dank, nicht so schwere Opfer bringen wie die Chaschmona’ím. Uns kostet die jüdische Erziehung unserer Kinder nur Geld und ein paar kleinere Schwierigkeiten. Die Wichtigkeit jüdischer Erziehung ist aber gegenüber früheren Generationen kein bisschen geringer geworden. Sie ist sogar noch grösser als früher. Statistiken zeigen, dass eine intensive jüdische Erziehung ein sehr guter Indikator dafür ist, ob ein Kind mit dem Bewusstsein aufwächst, jüdisch zu sein, und ob es einen jüdischen Partner heiratet und eine jüdische Familie gründet. Das ist ein greifbares Ergebnis einer wirklich jüdischen Erziehung. Untersuchungen haben ergeben, dass es einen zweiten und sogar noch stärkeren Indikator dafür gibt, ob ein Kind später jüdisch lebt – nämlich, ob es in einer jüdischen Umgebung aufwächst. Nur eine jüdische Tagesschule kann einem Kind beide Vorteile bieten.
Unsere Gemeinde hat (an einer Generalversammlung, während Dez. 2006) mit grosser Mehrheit entschieden, der Jüdischen Primarschule Leo Adler eine zusätzliche Subvention zu geben, damit sie – während sie neue Geldquellen sucht – für ein weiteres Jahr bestehen bleibt. Die Kinder, die die Schule besuchen, und diejenigen, die sie besuchen werden, תִּינוֹקוֹת שֶׁל בֵּית רַבָּן, sagen uns gemeinsam aus der Tiefe ihrer Herzen und mit der Reinheit ihrer Seelen: jischár Kochachèm!
Für diese Kinder, für jedes jüdische Kind, lohnen sich enorme Anstrengungen, um eine wirklich jüdische Erziehung in einer jüdischen Tagesschule sicherzustellen. Mit unserem neuen Gemeindebeschluss und mit unserem persönlichen Einsatz in der Zukunft werden wir weiter den Lohn dafür ernten, dass sich die Chaschmona’ím standhaft geweigert haben, aus der Geschichte der Menschheit zu verschwinden.
Das Erbe der Chaschmona’ím betrifft ganz Israel – sogar viele, die gar nicht wissen, warum sie die Chanukká-Lichter zünden. Wir sollten also auch etwas investieren, um nicht nur unsere Kinder weiterhin im Geist der jüdischen Tradition zu erziehen, sondern hoffentlich auch all die kleinen jüdischen Seelen, die sich nach einer wirklich jüdischen Erziehung sehnen und bisher nur ein wenig davon kosten durften, in diesen Genuss kommen zu lassen.
Rabbiner Arie Folger,
Predigt zu Schabbat Chanukká,
25. Kissléw 5767 (16. Dezember 2006)
1Genauer gesagt, der Seleukiden. Die rabbinische Literatur unterscheidet aber selten zwischen den beiden.
2Eine Version des Briefs an die Juden in Jemen ist im Internet zu finden; der Text scheint aber manchmal ungenau aus der arabischen Quelle übersetzt zu sein: http://www.daat.ac.il/daat/mahshevt/mekorot/teyman-2.htm.
3Siehe Bellum Judaicum, Buch I
4Eine Version des Textes gibt es im Internet unter http://www.daat.ac.il/daat/mahshevt/mekorot/kidush-2.htm
5Vgl. Josephus, Bellum Judaicum, Buch I