Die Ägypter von der Verwesung der Getreidestocks retten

flag-ch_de-tinyAls die Seleukiden unter Antiochus IV Epiphanes versuchten, das jüdische Volk vom Judentum zu entfernen, verboten sie einige wichtigen Mizwót, auch die Beschneidung. Dass die Beschneidung eine zentrale Rolle in der jüdischen Identität und im jüdischen Selbstverständnis spielt, ist wohl bekannt. Die Beschneidung ist das physische Zeichen des Bundes G”ttes mit dem Stammvater Awrahám und seinen Nachkommen. Im hellenistischen Verständnis der Seleukiden sollte die Nichtbeschneidung den Juden erleichtern, sich zu assimilieren. Wenn wir kein Sonderzeichen in unseren Körpern tragen würden, würden wir – so hofften die Seleukiden – vielleicht auch die Auserwählung Israels verneinen und uns komplett mit den Griechen verschmelzen.

Gibt es aber auch eine zusätzliche Dimension? Symbolisierte die Beschneidung noch etwas, das die Seleukiden nicht wollten? Ein enigmatischer Midrasch aus dem Abschnitt Mikéz bringt uns dazu einen Hinweis.

Zuerst müssen wir uns mit der Mizwá der Berít Milá ein bisschen auseinandersetzen. Diese Mizwá ist nämlich theologisch schwierig zu verstehen. Schliesslich wurde der Mensch von G”tt persönlich erschaffen. Im ersten Kapitel der Torá heisst es, dass G”tt den Menschen “biDemutó, keZalmó” – “in Seinem Ebenbilde, nach Seiner Ähnlichkeit” – erschuf. Viele Bibelkommentare stellten sich die Frage: Was heisst es, nach dem Bild G”ttes erschaffen zu werden; G”tt hat ja keinen Körper, kein Ebenbild?!

Nach der Auffassung Raschis bezieht sich der zweite Begriff, “Demút”, auf den menschlichen Körper. Dieser Körper ist nicht g”tt-ähnlich und kann es auch nicht sein, weil G”tt unkörperlich ist. Immerhin unterscheidet sich die Erschaffung des Menschen von der Erschaffung aller anderen Lebewesen, indem alle Lebewesen (und alles sonstiges) bloss durch das Wort G”ttes erschaffen wurden, der Mensch aber hochst persönlich, durch die metaphorischen “Hände” G”ttes; das heisst – so Raschi – der menschliche Körper wurde von G”tt durch Seinen besonders dafür bestimmten “Prägstock” geprägt – die Form des menschlichen Körpers ist also heilig.

Sollte der menschliche Körper, der so persönlich von G”tt – dem Volkommenen – geprägt wurde, nicht selber auch volkommen sein? Wieso wurden wir dann beauftragt, ihn zu “verbessern”? Diese Frage wurde von Turnus Rufus dem Rabbi ‘Akiwá gestellt:

מעשה ששאל טורנוסרופוס הרשע את רבי עקיבא, איזו מעשים נאים, של הקדוש ברוך הוא או של בשר ודם. אמר לו, של בשר ודם נאים. אמר לו טורנוסרופוס, הרי השמים והארץ יכול אדם לעשות כיוצא בהם אמר לו רבי עקיבא, לא תאמר לי בדבר שהוא למעלה מן הבריות שאין שולטין עליו, אלא אמור דברים שהם מצויין בבני אדם. אמר לו, למה אתם מולין. אמר לו, אני הייתי יודע שעל דבר זה אתה שואלני, ולכך הקדמתי ואמרתי לך, שמעשה בני אדם נאים משל הקדוש ברוך הוא. הביא לו רבי עקיבא שבלים וגלסקאות, אמר לו, אלו מעשה הקדוש ברוך הוא, ואלו מעשה ידי אדם. אמר לו, אין אלו נאים יותר מן השבלים אמר לו טורנוסרופוס, אם הוא חפץ במילה, למה אינו יוצא הולד מהול ממעי אמו. אמר לו רבי עקיבא, ולמה שוררו יוצא עמו והוא תלוי בבטנו ואמו חותכו ומה שאתה אומר למה אינו יוצא מהול, לפי שלא נתן הקדוש ברוך הוא את המצות לישראל אלא לצרף אותם בהם. ולכך אמר דוד, (כל) אמרת ה’ צרופה (תהלים יח לא):

Einst geschah es, dass Turnus Rufus der Böse den Rabbi ‘Akiwá fragte: Welche Taten werden höher gepriesen, die des Heiligen, gepriesen sei Er, oder die des Menschen? Daraufhin erwiderte Rabbi ‘Akiwá: die des Menschen. Erwiderte ihm Turnus Rufus: Siehe Himmel und Erde, kann ein Mensch ähnliches erschaffen? Erwiderte ihm Rabbi ‘Akiwá: bringe keine Beweise von den Dingen, die sich höher als die Geschöpfe befinden, die sie nicht beherrschen können; sondern sprechen wir von Dingen, die es unter den Menschen gibt. Sagte er ihm: Warum lasst ihr euch beschneiden? Erwiderte er ihm: Ich wusste, dass du mich dazu fragen wolltest. Deshalb fing ich mit der Aussage an, dass die Taten des Menschen höher gepriesen werden als die des Heiligen, gepriesen sei Er. Rabbi ‘Akiwá brachte ihm Getreidestangen und Keckse und sagte ihm: diese sind die Werke des Heiligen, gepriesen sei Er, und diese sind die Werke der Menschen. [Weiter] sagte er: sind diese [Keckse] nicht schöner als die Getreide? Erwiderte ihm Turnus Rufus: Weshalb wird das Kind aus dem Bauch seiner Mutter nicht beschnitten geboren, wenn Er den Beschnittenen vorzieht? Erwiderte ihm Rabbi ‘Akiwá: Weshalb kommt die Nabelschnur mit dem Kind und hängt noch an ihm und muss seine Mutter sie durchschneiden? Und zu deiner Frage, weshalb das Kind nicht beschnitten geboren wird, weil der Heilige, gepriesen sei Er, die Gebote den Israeliten nur darum gab, damit sie sich vervollkommnen, wie es heisst … (Jalkút Schim’oní Tasrí’a §5)

Die theologische Frage ist nun beantwortet; wir wissen, weshalb es möglich ist, dass wir den sonst perfekten von G”tt geprägten Körper verbessern können. Warum aber gerade mit der Beschneidung? Nach der Auffassung Maimonides’ sollte die Beschneidung die Beherrschung männlicher Sexualität herbeiführen/symbolisieren. Nach anderen Auffassungen wird damit befürwortet, dass die Werte der Torá alle, aber auch alle Aspekte des Lebens anspricht. Mittels einem schwierigen Midrásch können wir aber eine weitere Schicht der Bedeutung entdecken.

Als der bereits sieben Jahre vorher angekündigte Hunger sich im Lande Ägypten verbreitete, kamen die Ägypter zu Par’ó und verlangten Brot. Daraufhin erwiderte er: “Tut, was Joseph euch befehlen wird”. Dieser Vers ist enigmatisch; denn kurz vorher wird erläutert, wie man während der sieben Jahre der Vielfalt überall Getreide aufbewahrte. Es wurde sogar eine Getreidesteuer von 20% erhoben; dem Volk blieb es kein Geheimnis, dass man sich auf einen grossen Hunger vorbereiten müsste. Dennoch kamen sie bereits am Anfang der Hungerzeit zu Par’ó und verlangten Brot; hatten sie kein Getreide selber aufbewahrt? Und über welchen Befehl sprach Par’ó, als er verlangte, dass man den Befehl Josephs einhalten sollte?

Raschi erklärt diese Stelle mit einem seltsam wirkenden Midrásch. So hätten die Ägypter zwar Getreide aufbewahrt, aber dieses Getreide verdarb; das Getreide, das aber in den Lagerhäusern Josephs aufbewahrt wurde, war gut. Darum kamen sie zu Joseph, der bereit war, das Volk zu ernähren, unter der Bedingung, dass sie sich beschneiden. Die Ägypter waren entsetzt und kamen zu Par’ó, in der Hoffnung, dass er Joseph widersprechen werde. Dieser aber fragte, weshalb die Einzelpersonen kein Getreide aufbewahrt hatten. Als er erfuhr, dass sie doch Getreide aufbewahrt hatten, dieses aber verdarb, beauftragte er sein Volk, die Bedingung Josephs zu akzeptieren, der ja so mächtig war, dass er das Getreide nach seinem Willen gut erhalten oder verderben lassen kann.

Dieser Midrásch ist schwierig zu verstehen. Weshalb sollte Joseph die Ägypter beschneiden wollen? Unsere Quellen sind sich nicht einig, ob nur Juden die Pflicht haben, sich zu beschneiden oder alle Nachkommen Awraháms (d.h., wurden die Kinder Awraháms alle beauftragt, dieses Gebot an ihre Nachkommen zu vermitteln, oder waren die anderen Kinder – ausser Yizchák – nur verpflichtet, sich selber beschneiden zu lassen, mussten aber nicht die nächste Generation beschneiden). Die Ägypter aber waren keine Nachkommen Awraháms; weshalb sollten sie sich beschneiden lassen? Ausserdem ist die Beschneidung ein privates Zeichen der g”ttverbundenen Israeliten, und ist es deshalb verboten, Nichtjuden rituell zu beschneiden.

Der Maharál aus Prag (Rabbi Jehudá Löw ben Bezalél) setzt sich mit dieser Frage auseinander und sieht darin die Auswirkung eines Aspektes des Gebotes der Berít Milá. Nach seiner Auffassung symbolisiert die Vorhaut das, dass verwest, das nicht dauerhaft ist. Das jüdische Volk, das mit einer ewigen Aufgabe beauftragt wurde, und mit dem G”tt einen ewigen Bund schloss, soll sich von der Kraft der Verwesung trennen. Normalerweise gäbe es keinen Grund, die Ägypter zu beschneiden und wäre es Joseph verboten, dies zu tun. Diese siebenjährige Hungerzeit war aber ungewöhnlich, und die Unbeschnittenheit der Ägypter hatte plötzlich nicht nur geistige, sondern sogar physische Auswirkungen. Joseph fühlte – nach diesem Midrásch -, dass er die Ägypter beschneiden müsste, damit sie überleben würden. Sonst würde das Getreide, das er verteilen würde, einmal bei den Leute aufbewahrt, auch verderben. Es folgt natürlich, dass der Befehl, sich beschneiden zu lassen, eine Ausnahme war, und die Ägypter würden ihre Nachkommen nach dem Ende der Hungerzeit nicht weiterhin beschneiden müssen.

Nach dieser Erklärung sehen wir eine direkte Verbindung zwischen der dauernden Existenz des Volkes Israels und der Mizwá der Berít Milá. Die Seleukiden hätten mit dem Beschneidungsverbot das jüdische Volk mit den Kräften der Verwesung gefährden wollen. Das Volk weigerte sich, sich in dieser Hinsicht bezwingen zu lassen, und ein Aufstand folgte. Und seither feiern wir die dauerhafte Existenz unseres Volkes und betonen sie an Chanuká.


Diese Predigt wurde zu Schabbat Chanuká, erster Tag von Rosch Chódesch Kisléw 5769 (27. Dez. ‘08 ) in Lengnau vorgetragen

2 Responses to Die Ägypter von der Verwesung der Getreidestocks retten

  1. Cheski says:

    Hello Rabbi,

    Since you like Brisk, I assume that you also saw the Beis Halevi in Bereishis on “Asher Boro Elokim Laasos”. This is exactly what the world was intended for: To improve.

    I enjoyed the Shabbos with you and keep up the good work.

    Tot ziens,
    Cheski

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