Aus dem Archiv: Leserbrief zu Organspenden

Deutschheart-copyleftVor eine Weile veröffentlichte die Jüdische Allgemeinde den folgenden Leserbrief von mir, zum Thema Organspenden und Halacha. Es war eine Reaktion auf dem folgenden Artikel: Leo Latasch über den Deutschen Ethikrat.

Übrigens, auf Dauer lassen die meisten Patienten ganz sicher ihre eigene, auf Mass vorbereitete, genetisch passende Organe wachsen: Can skin cells help heal your heart? (Scientific ‎Times).

[NOTA: Wie Sie im Bild nebenan sehen können, wurde mein Brief leicht gekürzt, und etwa wesentliche Zusatzinformation ausgelassen. Hier unten haben Sie aber auch die ursprüngliche Fassung, vergleichen Sie.]

Dass ein Jude in den Deutschen Ethikrat berufen wurde, und dass dieser Jude stolz behauptet, bei schwierigen ethischen Fragen sich rabbinischen Rat einzuholen, ist zweimal zu begrüßen. Genau deshalb möchte ich zu einer Stelle einiges aufklären. Herr Latasch behauptet, dass Juden deshalb bei Organspenden zurückhaltend wären, weil Verstorbenen körperlich unbeschädigt beerdigt werden müssen. Obwohl letzteres stimmt (und deshalb Spenden von Leichnamen an die Forschung und fast alle Obduktionen untersagt sind), ist es kein Grund Organspenden abzulehnen.

Die strengsten halachischen Autoritäten äußern sich deutlich dafür aus, dass Organe von Leichen entnommen werden dürfen – und müssen – um Leben zu retten.

Das Problem liegt nicht an der Beschädigung der Leichname, sondern am Zeitpunkt, an dem die Organe entnommen werden. Obwohl, wie Herr Latasch selber bemerkt, es heute Methoden gibt, “mit denen man das Ende des Lebens viel präziser bestimmen kann”, bleibt schließlich die bioethische Frage, wie das Ende des Lebens zu definieren. Man kann nur messen, was definiert wurde, sonst bringen Messungen nichts. Aber, zum Zeitpunkt, an dem Organe in der Regel entnommen werden, ist der Patient – laut vielen halachischen Autoritäten – noch ganz wohl lebendig und die Entnahme der Organe ist nichts weniger als Mord. Es ist zwar nobel, Menschen zu retten, nicht aber durch die Tötung anderer Menschen.

Auch solche Autoritäten, die den Gehirntod als Moment des Todeseintritts akzeptieren, fordern eine präzisere Diagnose, die heute zwar möglich aber nicht üblich ist. So bemerkte Dick Teresi zulezt im Wall Street Journal (What You Lose When You Sign That Organ Donor Card):
“What if there is sound evidence that you are alive after being declared brain dead? … Instead of just the usual ice water-in-the-ears, why not ask for a blood-flow study to make sure your cortex is truly out of commission?”

Wollen wir ethisch unumstrittene Organspenden und dadurch auch die Rate der jüdischen Bereitschaft, Organspender zu werden, erhöhen, müssen wir uns für Recherchen einsetzen, um den Zeitpunkt der Entnahme der Organe so weit wie möglich zu verschieben, damit sie erst nach dem zweifellosen Todeseintritt entnommen werden. Für viele Organe ist das bereits möglich, solange die Krankenhäuser – und Transplantationschirurgen – bereit sind mitzumachen. Zudem ist mittlerweile bekannt, dass alle Organe, außer dem Herz, nach spontanen kardiopulmonalen Stillstand noch immer für Organspenden in Frage kämen, solange die Transplantationschirurgen schnell handeln. Da der größte Organmangel nicht von Herzen, sondern von Nieren besteht, können mit strengeren ethischen Maßstäben viele zusätzliche Menschen gerettet werden, in dem sich plötzlich viel mehr Spender – jüdische sowie andersgläubige – bekanntgeben. In ENgland hat Oberrabbiner Jonathan Sacks bereits angefangen, den Kontakt mit Spitäler und den Behörden aufzunehmen, um halachisch unbedenkliche Organspenden zu ermöglichen, auch wir sollen sich hierzulande dafür einsetzen.

Dem Herrn Latasch wünsche ich, dass er in seiner Kapazität als Mitglied des Deutschen Ethikrates erfolgreich viel Gutes tun wird.

Mit freundlichen Grüßen,

Arie Folger
Gemeinderabbiner, München

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