Während der Ära des Bejt haMiqdásch galten die Gesetze der Tumá und Tahará, der sgn. rituellen Reinheit(*). Frauen wie Männer assen nicht nur die regulären Speisen, sondern auch geheiligten Speisen, wie vielen der Tieropfer im Tempel und wie der sgn. zweite Zehnte – ein Zehntel des landwirtschaftlichen Ertrages der je nach Jahr des siebenjährigen Zyklus, entweder selber in Jerusalem gegessen, oder den Armen gegeben wurde. Deshalb besuchten Männer wie Frauen regelmässig die Mikwé.
* = Das Begriff Tahará wurde ausführlich in dem Aufsatz Von Tahará zu Keduschá ausgelegt.
Seit der Zerstörung des Bejt haMikdásch haben nur noch Frauen das Privileg, die Mikwé besuchen zu müssen. Solche monatliche Ereignisse sind sehr geistig geprägt, und viele Frauen sprechen dazu besondere Gebete, sgn. Techinót, die sogar öfters von Frauen verfasst wurden (was sonnst im Mittelalter und in der Frühmoderne überhaupt nicht selbstverständlich war). Zwei solche hervorragende Techinót fand ich in der 1864 Ausgabe des “Safa Berura”-Rödelheim-Gebetbuches, die ich hier veroffentliche.
Techinót, die auch zu vielen anderen Themen verfasst wurden (und viele wiederum von Frauen), wurden nicht nur ins Hebräische geschrieben, sondern recht oft in der lokalen jüdischen Umgangssprache, in Europa also Jiddisch oder Jiddisch-Deutsch.
In den letzten Jahrzehnten wachst das Interesse an diesen Gebete, die während des 19. und 20. Jh. an Popularität eingebusst hatten. Einer der Bahnbrechende Autorinnen, die auf diesem Gebiet tätig ist, ist die englische Devra Kay, die das Buch “Seder Tkhines: The Forgotten Book of Common Prayer for Jewish Women” schrieb.
Anbei der Text der Rödelheim-Techinót. Sie wurden in Hochdeutsch verfasst, aber mit hebräischen Buchstaben geschrieben. Dazu wurde wie üblich eine besondere Schriftwart verwendet. Die Sprache wirkt ein bisschen gewohnungsbedürftig, aber ich möchte weder die Grammatik noch die Rechtschreibung verbessern. Eher möchte ich dem Leser ermöglichen, die Sprache des Originals zu spüren.
Leider habe ich bisher nicht herausfinden können, wer diese zwei Techinót verfasste; war es R’ Wolf Heidenheim, verleger der Rödelheim-Gebetbücher? War es eine Frau? Wurden diese Texte neu für den Rödelheim-Siddur geschrieben, oder sind sie viel älter? Wurden sie ursprunglich in Hochdeutsch verfasst, oder sind sie aus dem Jiddischen oder Hebräischen übersetzt worden? Ich weisse es leider nicht. Wissen Sie etwas mehr darüber? Hinterlassen sie dan doch bitte ein Kommentar hier.
Techiná für vor dem Tauchen
Herr aller Welt! Du hast Dein Volk Israel mehr als alle Völker geheiligt, Du hast geboten, dass sie sich sollen reinigen von ihrer Unreinigheit, sie sollen ihren Körper rein waschen. Allmächtiger G”tt, heute ist die Zeit gekommen, so ich mich reinigen soll.
Achte mein Reinigen als das Reinigen der frommen Weiber unter Israel, und erhöre mein Gebet, denn Du bist ja der Erhörer des Gebetes der Kinder Israel. Wohl mögen Dir gefallen die Reden meines Mundes, die Gedanken meines Herzens Dir Ewiger, mein Hort und mein Erlöser. Amén Sèla.
Techiná für nach dem Tauchen
Allmächtiger Vater! Schöpfer der Welt, Herr aller Seelen, welcher in der Höhe thront und zwischen den seinigen [d.h. wahrscheinlich “über die Engel”–AF] ruht! Du, Herr! Hast Dir das Volk Israel aus allen Völkern erkoren. Aus grosser Liebe zu ihnen, hast Du ihnen geboten, sich von allen Unreinigkeit zu reinigen, Du bist rein und alle Deine Diener sind rein, bei ihnen findet keine Unreinigkeit statt. Barmherziger Vater! Ich, Deine Magd, Tochter Deiner Magd, habe heute mit Freude Dein Gebot der Reinigung erfüllt. Erhalte nun auch meine Gedanken rein und lass mich nicht durch Sinneslust strauchlen. Erhalte mir die Zartlichkeit meines Mannes zur Erfüllung Deiner Gebote. Segne meinen Samen, und nehme die Frucht meines Leibes in Deinen Stutz, auf sass sie erwachse in Frieden, und Dich liebe und fürchte bis in Ewigkeit. Amén Sèla.