Von Rabbiner Schlomo Hofmeister

Rekonstruktion der Innenansicht des Hejchals im 1. Bejt ha-Mikdasch – (c) Temple Insitute
Der Toraschrein ist der heiligste Ort der Synagoge. In der aschkenasischen Tradition wird er so wie die „Bundeslade“ des Bejt ha-Mikdasch (der Tempel Jerusalems) Aron Ha-Kodesch genannt (vgl. Melachim II 35:3); in der sephardischen Tradition wird er entsprechend dem zentralen Gebäude des Bejt Ha-Mikdasch als Hejchal bezeichnet (vgl. Schmuel I 3:3). Zu jedem Aron Ha-Kodesch gehört auch immer ein Parochet, der ─ in Anlehnung an den gleichnamigen Vorhang im Bejt Ha-Mikdasch ─ als wichtige Abgrenzung zwischen der Heiligkeit des Synagogenraums und der erhöhten Heiligkeit des Aron Ha-Kodesch dient (Schulchan Aruch Orach Chaim 154:3, Rema 154:6, Magen Avraham 147:10).
Es gibt auch weitere strukturelle Parallelen der synagogalen Architektur und Einrichtung zu wichtigen Elementen des Bejt Ha-Mikdasch. Dazu gehört beispielsweise auch der Vorraum einer jeden Synagoge, die Bima, das Ner Tamid (ewige Licht), der Esrat Naschim (die Frauenempore) und der Amud (Ständer) des Chasan (Vorbeters). Diese Parallellen sind bewusst entstanden. Daraus ergibt sich eine Reihe von Minhagim, sowie prinzipielle Verhaltensvorschriften in der Synagoge, die an den Raum gebunden sind und unabhängig von den Gebetszeiten, immer gelten. So ist es jederzeit strikt untersagt, in der Synagoge zu essen oder zu trinken ─ wobei der Wein, den die Kinder nach dem Kiddusch oder der Hawdala bekommen, beziehungsweise der Wein bei einer Chuppa oder Brit Mila, explizit die einzige Ausnahme darstellt (Tefilas Jeschurun S. 178, 506 und 513). Eine Synagoge ist eben nicht nur Bejt Ha-Knesset (Haus der Versammlung) sondern wird, in Anlehnung an das Bejt Ha-Mikdasch, auch als Mikdasch Me’at (kleines Heiligtum) bezeichnet (Traktat Megilla 29a). Das Dekorum der Anwesenden, sollte daher, wie der Schulchan Aruch warnt, zu jeder Zeit der Würde und Bedeutung des Ortes entsprechen (s. Orach Chaim 151, Chaje Adam 17:6, Mischna Berura 150:1 ff).
Die rabbinische Rechtsliteratur beschäftigt sich ausgiebig mit der Frage, ob und unter welchen Umständen man dem Aron Ha-Kodesch den Rücken kehren darf. Beispielsweise wird der Brauch diskutiert, warum man sich am Freitag Abend bei „Lecha Dodi“ umdrehen darf (Jechawe Da’as 3:19), wodurch die Vorschrift verständlich wird, sich am Ende der letzten Strophe, bei der Wiederholung der Worte „Bo’i Chala“, wieder umzudrehen und sich auch in Richtung des Aron Ha-Kodesch zu verneigen bevor man sich hinsetzt (s. Tefilas Jeschurun S. 123).
Die erstmals im 19. Jhd. aufkommende Praxis, dass der Rabbiner von einem Rednerpult, direkt vor dem Aron Ha-Kodesch, eine Drascha gibt, wobei er dem Aron Ha-Kodesch den Rücken kehrt, wird zwar nicht als optimal erachtet, ist durch die Summe der folgenden drei Voraussetzungen jedoch halachisch möglich: 1.) er ist ein Toragelehrter, 2.) er spricht Worte der Tora, 3.) er trägt einen grossen Talit, der seinen gesamten Rücken bedeckt. (vgl. Sche’eirit Ha-Beracha 79:10). Nach Beendigung seiner Drascha, muss sich der Rabbiner dann jedoch, genauso wie die Kohanim nach dem Duchenen (dem Erteilen des Priestersegens), wieder dem Aron Ha-Kodesch zuwenden und sich rückwärts oder zumindest seitwärts gehend von ihm entfernen (vgl. Mischna Berura 128:61). Allgemein üblich ist auch, dass man sich vor dem Verlassen der Synagoge zum Zeichen der Ehrfurcht dem Aron Ha-Kodesch zuwendet, und ein paar Schritte rückwärts geht (vgl. Schulchan Aruch O. Ch. 132, Magen Avraham 6).
Das Erwähnte bezieht sich alles auf einen geschlossenen Aron Ha-Kodesch (vgl. Aruch Ha-Schulchan 94:5). Es ist selbstverständlich, dass man dem offenen Aron Ha-Kodesch niemals den Rücken kehrt, insbesondere wenn man direkt davor steht, auch nicht wenn man selbst ein Sefer Tora im Arm hält. Deswegen werden in all jenen Synagogen, die dem polnischen Brauch folgend beim Ausheben am Schabbes „Schema Jissraël“ und „Echad Elokejnu“ sagen, der Aron Ha-Kodesch und der Parochet sofort geschlossen, sobald dem Vorbeter das Sefer Tora übergeben wurde. Erst dann darf er sich zu „Schema Jissraël“ überhaupt zur Gemeinde hin drehen. Dabei drehen sich die anderen beim Ausheben beteiligten Personen, die kein Sefer Tora im Arm halten, nicht vollständig mit ihrem Rücken, sondern lediglich etwas seitlich, und sich dann rückwärts, beziehungsweise seitlich vom Aron Ha-Kodesch zu entfernen. (vgl. Schulchan Aruch Jore Dea 242:13, Scha’ar Hatsijon 146:1 und 282:1, Mischna Berura 128:61)
Prinzipiell gilt, dass der Aron Ha-Kodesch nach dem Aus- oder Einheben eines Sefer Tora immer so bald wie möglich wieder geschlossen werden sollte, um nicht unnötig offen zu stehen. Bezüglich der Frage, ob man den Aron Ha-Kodesch beim Einheben sofort schliessen soll, sobald das Sefer Tora zurück an seinem Platz steht, oder ob man warten kann, wenn es etwas länger dauert, bis der Chasan die entsprechenden Pessukim (Verse) zu Ende gesungen hat, gibt es noch einige ungeklärte halachische Fragen. Unumstritten ist jedoch, dass der Aron Ha-Kodesch spätestens dann geschlossen werden muss, wenn der Chasan die Worte „Chadesch Jomeinu Ke-Kedem“ beendet.
Dass der Aron Ha-Kodesch erst dann tatsächlich als geschlossen gilt, wenn auch der Parochet zugezogen wurde (ausser an Tisha be-Aw, s. Sefer Minhagej Jeschurun, Kap. 138), der ja jene wichtige Abgrenzung des Synagogenraums vom Bereich der Sifrej Tora bildet, wird auch daraus ersichtlich, dass in jenen Synagogen, die Anim Zemirot direkt vor dem Ausheben sagen, derjenige mit „Peticha“ (dem Öffnen des Parochet und der Türen des Aron Ha-Kodesch) Geehrte, nach dem Schliessen der Türen immer auch den Parochet schliesst, obwohl sofort ein Anderer zum Ausheben kommt, und den Aron Ha-Kodesch gleich wieder öffnet. Das gleiche sehen wir an Rosch Ha-Schana und Jom Kippur, wenn an mehreren Stellen der Amida der Aron HaKodesch geöffnet wird, und in jedem Fall nach dem Schliessen der Türen auch immer der Parochet geschlossen werden muss, auch wenn er gleich im nächsten Moment wieder geöffnet wird.
[…] Die Heiligkeit hinter dem Vorhang – Gastbeitrag […]