
Lot flüchtet mit seinen Töchtern – Albrecht Dürer, ca. 1498
In der Parascha dieser Woche finden wir eine Reihe großer Erzählungen über die Urväter und -mütter. Versuchen wir, in den verschiedenen Handlungen einen „roten Faden“ zu finden, lautet der gemeinsame Nenner der Episoden vielleicht so: Wer wird nach Awraham und Sarah das Werk weiterführen? Da geht es auch darum, wer das nicht sein wird. Nicht Jischmael, der Sohn Hagars, sondern Jizchak, der Sohn Sarahs, wird der Erbe Awrahams. Allerdings hat Jischmael nach der Trennung noch Chancen und Potential, künftig ein gutes Leben zu führen ─ wenn er mitnimmt, was er bei Awraham gelernt hat, und wenn er auch aus der Krise lernt. Ihm wird vorausgesagt, Stammvater vieler Völker zu sein. Was er daraus macht, ist offen. Aber die Chancen sind da.
Lot hatte Sedom gewählt
Viel schlechter geht die Geschichte von Lot aus. Lot, der Neffe Awrahams, der ihn lange begleitete, trennte sich bereits in der Parascha der letzten Woche von Awraham, und zwar aus materiellen Gründen (zu wenig Raum für so viele Weidetiere). Die Trennung an sich wäre noch begründet gewesen, allerdings suchte Lot, von Aussicht auf noch mehr Wohlstand verlockt, einen besonders schlechten Ort aus: die Jordanebene bei Sedom und Amora, Städte mit grausam schlechten sozialen Standards. Lot ist innerhalb dieser schlechten Gesellschaft der eine Gute. Möglicherweise heißt es aber nicht viel, in diesem Umfeld besser als die Anderen zu sein.
Als Lot Sedom verlassen musste
Es kommt der Punkt, wo G”tt die Region von Sedom und Amora zerstört. Und so wie Jischmael eine Chance auf Neuanfang hat, so bekommt auch Lot eine Chance. Er und seine jungen Töchter werden von Engeln gerettet. Doch Lot nutzt die Chance nicht. Anders als seine Töchter (die von der Welt vielleicht wirklich noch nicht viel gesehen haben), kennt Lot viele Orte der Welt, die er gemeinsam mit Awraham besucht hatte. Auch wäre es gar nicht schwierig, den Weg zu Avraham zu finden, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. (Wir sehen im Text, dass Avraham am Tag danach sogar hinunterblickt in die zerstörte Talebene!)
Famile Lot in der Höhle
Aber Lot will nicht weitergehen. Er verzieht sich mit seinen Töchtern in eine Höhle. Man sieht hier eine Parallele mit Noach, der sich nach der Flut in sein Zelt zurückzog und zu viel Wein trank. Auch Lot will nach dem Schock und dem Trauma, das das Erleben der Zerstörung brachte, mit der Welt nichts mehr zu tun haben. Allerdings besteht auch ein großer Unterschied. Während Noach die Aufgabe gehabt hätte, gleich die ganze Welt zu führen, wäre Lot nichtmal genötigt, alleine etwas zu führen. Er hätte, ohne selbst etwas Neues aufzubauen, auch die Option, einfach wieder zu Awraham zu gehen. Das Problem, zu viele Weidetiere für eine gemeinsame Weide mit Awraham zu haben, besteht ja nun nicht mehr. Einziger Haken: Lot wäre stets „nur“ der Zweite hinter Awraham gewesen. Vielleicht war es das, was ihn hinderte. Er blieb lieber in seiner Höhle und tat nichts, außer dem Wein nicht abgeneigt zu sein, mit allen Konsequenzen. Lot scheint noch lieber alleine bleiben zu wollen, als die Führung eines Anderen anzuerkennen. Das ist kein konstruktiver Weg.
Lot nicht nachahmen
Aus dem Versagen von Lot lernen wir, dass es nicht die richtige Reaktion sein kann, sich aus der Welt zurückzuziehen – nicht einmal dann, wenn die Welt grad sehr schlimm aussieht. Selbstverständlich können kurzzeitige Rückzüge, wenn ein Stress zu groß wird, sehr gesund und wichtig sein. Aber auf Dauer verlangt ein Leben nach dem Vorbild Avrahams die Betätigung in dieser Welt.