Dina blieb eine Gefangene

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Schechem fängt Dina – anonymer Künstler aus Italien, 17. Jh.

DeutschZu den tragischsten Ereignissen im Leben des Stammvaters Jakob gehört ganz bestimmt die Vergewaltigung und Entführung seiner Tochter Dina durch den Sohn des Herrn von Schechem. Die Geschichte endet mit einer blutigen Vergeltung während der Rettung Dinas:

Es begab sich aber am dritten Tag, da [die Bewohner Schechems, die sich wegen der Verhandlungen mit Jakob und seiner Familie beschnitten ließen] wundkrank waren, dass die beiden Söhne Jakobs, Simeon und Levi, Dinas Brüder, ein jeder sein Schwert nahmen und unversehens in die Stadt eindrangen und alles Männliche umbrachten. Auch Chamor und dessen Sohn Schechem töteten sie mit des Schwertes Schärfe und holten Dina aus dem Hause Schechems und verließen die Stadt (Berejschit 34:25-26).

Wie konnten Schimon und Lewi unschuldige Leute umbringen? Sogar Schechem und sein Vater Chamor hatten mittlerweile mit Jakob und seiner Familie unterhandelt und hatten die ihnen auferlegten Bedingungen akzeptiert!

Trügerische Verhandlungen

Auf denm ersten Blick erweisen sich nun die einstigen Verhandlungen der Familie Dinas mit der Familie Schechems als trügerisch. Tatsächlich ist es dieses Wort, dass die Tora verwendet, um die Aussagen der Kinder Jakobs bei den Verhandlungen mit dem Vater Schechems zu beschrieiben. Die Kinder Jakobs antworteten trügerisch, bemirma (ebd. Vers 13).

War der Betrug aber falsch?

Doch war dieses dieser Betrug unzulässig? Verhandelten Chamor und sein Sohn Schechem in guter Absicht? Der aufmerksame Leser dürfte hier die Frage stellen, wo die geliebte Dina bei ihren Heiratsverhandlungen bleibt. Man hört und sieht sie nicht.

Obwohl Schechem mit der Zustimmung seines Vaters Chamor seine Bereitschaft erklärt, einen großen Brautpreis zu zahlen, und sie dem Vorschlag der Kinder Jakobs zustimmten, sich beschneiden zu lassen, bleibt Dina irgendwie abwesend und war vermutlich gefangen. Unter solchen Umständen ist es verständlich, dass die Familie einen Weg suchte, um Dina befreien zu können. Die Verhandlungen mit Schechem und Chamor wurden also unter ständiger Bedrohung des Wohls Dinas geführt.

Ein Schurkenregime

Da das Regime des Stadtstaates Schechem also ein Schurkenregime war, in dem ein Vergewaltiger-Kidnapper noch die Ehe erzwingen und damit als unschuldig erscheinen konnte, lebten sie in ständiger Verletzung des noachidischen Gebots, Gerichtshöfe zu erstellen, damit Gerechtigkeit im Lande herrsche. Daher urteilt Rambam (Maimonides; Mischne Tora, Gesetze der Könige 9:14), dass Schimon und Lewi Recht hatten, Schechem, Chamor und deren Unterstützer hinzurichten.

Auch der Kampf gegen ein Schurkenregime ist an ethische Regel gebunden

Ramban (Nachmanides; Kommentar zu Berejschit 34:13) akzeptiert das nicht, denn selbst wenn die Bevölkerung versäumt hatte, die Mizwa zu erfüllen, gerechte Gerichtshöfe aufzustellen, war das kein Grund, sie alle hinzurichten. Außerdem besaß Jakob doch keine gerichtliche Gewalt, sodass es nicht seine Aufgabe gewesen ist, jene Menschen zu richten. Außerdem findet Ramban zwischen den Zeilen des Textes, dass Jakob seinen Söhnen die Tat nie verziehen hatte.

Eine Rettungsaktion

Viel eher denkt Ramban, dass die Söhne Jakobs anfänglich mit dessen Einverständnis vorschlugen, dass sich die Bewohner Schechems beschneiden, damit Dina während der Rekonvaleszenz der Neu-beschnittenen gerettet werden könne. Dabei war klar, dass die Rettungsaktion auf Widerstand stoßen könnte und sie Menschen töten müssten. Als Schimon und Lewi schließlich Dina retteten, übten sie auch Rache gegen Schechem, Chamor und deren Anhänger (die ganze Stadt); das war nicht geplant und dafür wies Jakob sie wiederholt, sogar abermals kurz vor seinem Tod, zurecht (ebd. Vers 30 und 49:5-7).

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