Eva ist gleich viel wert wie Adam, dessen Name ja „Mensch“ bedeutet. Ein jüdischer Ausblick
[Erschien im Jüdischen Echo Band 68 – Erfahren Sie hier mehr zu diesem Band, einschließlich, wo es zu beziehen.]
Und Gott schuf den Menschen in Seinem Ebenbilde, im Ebenbilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie. (Genesis 1:27)
Da sprach der Mensch: Das ist nun einmal Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch! Die soll Männin heißen; denn sie ist dem Mann entnommen! Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und hänge seiner Frau an, dass sie zu einem Fleische werden. (ebd. 2:23-24)
Der Status der Frau im Judentum und in anderen traditionellen Konfessionen ist umstritten. Religionskritiker betonen gerne Ausdrücke und Sprüche, die belegen sollen, dass zu der einen oder anderen Konfession primitive Auffassungen bezüglich Frauen gehören, und deshalb moderne Menschen sich nicht nach Religionen ausrichten sollen, während Anhänger der jeweiligen Religionen ihre Quellen gerne so auslegen, dass sie auch in modernen Ohren relevant bleiben, ohne allerdings wichtigen Lehren dieser oder jener Konfession zu widersprechen. Beide Arten von Auslegungen wurden auch bezüglich des Judentums angeboten.
Ob ein Leser nun eher die kritischen oder die apologetischen Argumente akzeptiert, ist häufig nicht eine Folge der Stärke der Argumente, sondern eher die Folge der eigenen bereits bestehenden Neigungen. Intelligente, weltoffene Leser lernen aber, diese eigene prä-existierenden Neigungen zu überwinden. In diesem Geiste schlage ich den Lesern des Jüdischen Echos vor, uns mit einigen traditionellen jüdischen Quellen und Denkern auseinanderzusetzen.
So eine Untersuchung bietet zwei besondere Vorteile: Einerseits erlaubt sie uns, sich ein vollständigeres Bild des Judentums zu formen, anderseits erlaubt sie, gängige Denkmuster zu durchbrechen und quer zu denken. Obwohl manche es so darstellen wollen, sind die Welt und das Leben nicht zweipolig, schwarz und weiß, gut und schlecht, klug und dumm (wobei die letzten zwei Gegensätze sehr subjektiv sein können), sondern vielschichtig, vielfärbig und komplex. Lösungen für gesellschaftliche Probleme entstehen meistens nicht aus radikalen Angesichten, sondern aus einer Anerkennung der Komplexität unserer Welt. Hier bietet eine Religion wie das Judentum, in der seit Jahrtausenden progressive und konservative Gedanken einander mildern, ein wichtiges Gegengewicht zu neuen Orthodoxien, die die Welt polarisieren.
Bevor wir uns mit den Quellen auseinandersetzen, gehört es sich, die Auswahl der Quellen zu kommentieren. Diese kommen aus der hebräischen Bibel, dem Babylonischen Talmud, den Midraschim (Werken der rabbinischen Exegese, die im 1. Jahrtausend der bürgerlichen Zeitrechnung verfasst wurden) und den Bibelkommentaren. Der Korpus ist enorm. Allein der Babylonische Talmud besteht aus 2711 Folien, die in 37 Traktaten eingeteilt sind. In vielen Texten finden wir kurze Zitate, die für den Status der Frau im Judentum relevant sind. Da der Talmud in einem dialektischen Stil verfasst wurde, sind viele dieser Zitate kurz und widersprüchlich, denn es ist aus der Begegnung und dem Vergleich der verschiedenen Zitate, dass wir die rabbinische Theologie ableiten. Dabei gibt es auch Zitate, die nur in ihrem schriftlichen oder kulturellen Kontext sinnvoll interpretiert werden können. Es ist durchaus möglich, einzelne Zitate aus ihrem Zusammenhang zu reißen, und so die Sicht des Judentums zu einem beliebigen Thema zu manipulieren. In diesem Artikel versuche ich bewusst, solche falsche Darstellungen zu vermeiden.
Geschlecht ist bedeutend
Was zweifelsohne stimmt, ist, dass Geschlecht nach dem Judentum bedeutend ist. Gott erschuf den Menschen in zwei Geschlechtern, damit Mann mit Frau eine Einheit bilden (Genesis 1:27, 2:24). Männer dürfen sich nicht wie Frauen kleiden und Frauen nicht wie Männer (Deuteronomium 22:5). Die Pflichten der Männer und Frauen überlappen sich zum Teil, sind aber nicht identisch, denn Frauen sind von verschiedenen „zeitgebundenen Geboten“ befreit (Mischna Kidduschin 1:7; nicht aber von „nicht-zeitgebundenen Geboten“ und erst recht nicht von irgendwelchen Verboten, vor denen alle gleich sind).
Das Judentum unterscheidet also zwischen Männern und Frauen. Mann-Sein und Frau-Sein sind bedeutende und entscheidende Begriffe, die Pflichten mit sich mitbringen. Heißt das, dass Frauen im Judentum geringer geschätzt werden? Dies ist zu bestreiten, denn zu viele Quellen schätzen Frauen gleich wie Männer und preisen Frauen für Tätigkeiten, die in anderen Gesellschaften erst in der Moderne akzeptiert wurden.
Die Erschaffung der Geschlechter
Besonders bekannt ist die Auslegung der Erschaffung der Frau aus dem schlummernden Mann (Genesis 2:21-22):
Da ließ der Ewige, Gott-Allmächtiger, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen; und während er schlief, nahm er eine seiner Rippen (Hebr.: Zäla‘, pl. Zela‘ot, seine Z.: Zal‘otaw) und verschloss deren Stelle mit Fleisch. Und der Ewige, Gott-Allmächtiger, baute (Hebr.: wajiwen) aus der Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, ein Weib und brachte sie zu ihm.
Im obigen Zitat wollen viele religionskritischen Stimmen eine Einstellung sehen, die Frauen grundsätzlich den Männern unterordnen, denn die Frau wurde ja aus einer Rippe des Mannes erschaffen, damit der Mann eine Partnerin hat, also soll hier eine Einstellung bestehen, die in der Frau ein zweitrangiges Geschöpf sieht. Was sagen traditionelle Quellen dazu?
Traditionelle jüdische Quellen sind sich gar nicht einig, dass die Frau aus einer Rippe erschaffen wurde. So zitiert der Bibelkommentar Raschi (Genesis 1:27, 2:21) aus dem Midrasch Aggada, dass der Mensch anfänglich zweigeschlechtlich war und dann in zwei geteilt wurde, denn das hebräische Wort für Rippe, Zäla, heißt auch „Seite“. Diese Auslegung wird bereits im Talmud (Berachot 61a) gelehrt. Die gleiche Auslegung wird von weiteren Bibelkommentaren – ohne Verweis auf irgendwelcher Alternativen – aufgeführt, wie etwa von Ibn Esra.1 So schrieb auch Rabbiner Samson Raphael Hirsch (Genesis 2:21):
… nicht wie beim Manne ward zum Leib der Frau der Stoff von der Erde genommen. Eine Seite des Mannes bildete Gott zur Frau, es ward der Mann gleichsam geteilt und der eine Teil zur Frau gestaltet. … also, dass das früher eine Geschöpf, nun in zweien dastand, und damit die völlige Gleichheit der Frau für immer besiegelt.
Allerdings erhielten Frauen in Österreich das Wahlrecht erst dreißig Jahre nach dem Tod des Autors des obigen Zitats.
Auf Basis des zweiten Verses des obigen Bibelzitats (Genesis 2:22) lehrt der Talmud (Nidda 45a), dass Frauen besonders verständnisvoll sind, denn das Verb bauen („und … baute aus der Rippe/Seite“), wajiwen, hat die fast gleiche Wurzel wie das Wort für Verständnis, Bina.2 Statt die Frau zu missachten und gering zu schätzen, sieht der Talmud hier eine besondere Aufwertung der Frau dem Mann gegenüber.
Bei der ersten Schilderung der Erschaffung des Menschen (Genesis 1:27) wird vom Menschen im gleichen Vers sowohl in der Einzahl als auch in der Mehrzahl gesprochen. Das ist die Basis der obigen Lehre, dass der Mensch anfänglich das Männliche und Weibliche in einem doppelseitigen Wesen vereinte, das später in zwei geteilt wurde. Auf Basis des gleichen Verses lehrt der Talmud (Jewamot 63a), dass der Mensch erst „Mensch“ heißen kann, wenn Mann und Frau zusammen sind. Erst mit der Ehe wird der Mensch vollständig; dann lebt der Mensch im Ebenbild Gottes. Langzeit-Singles mögen diese Lehre nur mit Mühe schlucken, aber statt einer Geringschätzung der Frau finden wir nun in der Schöpfungsgeschichte eine grundsätzliche Gleichheit und Hochschätzung: Mann und Frau ergänzen einander und alleine ist jeder von denen unvollständig.
So lehrte auch Rabbi Tanchum im Namen von Rabbi Chanilai, dass jeder Mann, der keine Frau hat, weder Freude, noch Segen, noch Güte kennt (ebd. 62b).3
Alternativ betont ein Midrasch (Midrasch Aggada, Genesis 5:1) auf Basis des gleichen Verses, dass die Frau genau so sehr „Adam“ (Mensch) ist, wie der Mann, und betont damit die Gleichheit der Geschlechter.
Für Rabbiner Samson Raphael Hirsch stellt die Frau in einem gewissen Sinne eine weitere Veredlung des Menschen dar (Genesis 2:21):
Die Weisen stellen auch alle Eigentümlichkeiten der weiblichen Stimme, des weiblichen Charakters und Temperaments, sowie auch die frühere geistige Reife der Frau im Zusammenhang mit dieser Bildung der Frau aus bereits fühlendem, empfindendem, belebtem Menschenleib, im Gegensatz zum Manne, dessen Leib aus Erde geschaffen worden.
Unterschiedliche Pflichten
Oben erwähnten wir, dass das jüdische Religionsgesetz zwischen den Pflichten der Männer und der Frauen unterscheidet. Zwar müssen jüdische Männer wie Frauen sich an allen Verboten der Tora halten (Frauen sind lediglich aus biologisch-technischen Gründen von zwei der Verbote befreit4). Hingegen sind die Gebote für Männer und Frauen nicht gleich bindend. Manche Gebote müssen nämlich in einer bestimmten Zeit erfüllt werden; Frauen sind von der Pflicht befreit, einige dieser Gebote zu erfüllen. So müssen Männer zum Laubhüttenfest in einer Sukka (Laubhütte) essen, während Frauen es dürfen. Männer müssen an den Ecken ihrer viereckigen Kleider Zizit (Schaufäden) tragen, während Frauen von dieser Pflicht befreit sind.
Sind Frauen von allen zeitbedingten Geboten befreit? Nein, wie Rabbiner Hirsch erläutert:
Man sieht, der Ausnahmen sind fast so viele wie der Regeln [dass Frauen von zeitbedingten Geboten befreit sind]. Erwägen wir, dass Schabbat und Pessach die beiden größten der von Zeit zu Zeit wiederkehrenden, das Judentum konstituierenden Institutionen des göttlichen Gesetzes sind, und für beide, nicht nur zur negativen – Arbeitsverbot und [zu Pessach] Chamezverzehrungsverbot –, sondern zur positiven Begehung derselben – Kiddusch des Schabbat, Pessach und Mazza des Pessach – Frauen in vollem Masse verpflichtet sind, dass sie ebenso, obgleich von [Pilgerpflichten im Tempel Jerusalems] frei, gleichwohl zur positiven Mitbeteiligung an den drei großen nationalen Festvereinigungen … und zu der großen Nationalversammlung jedes siebten Jahres, Hakhel, die Verpflichtung haben.5
Man darf diese Unterscheidung nicht übertreiben. Schließlich sind nur sieben6 von 613 Ge- und Verboten der Tora betroffen. Allerdings sind die unterschiedlichen Pflichten bezüglich dieser sieben Mizwot (Gebote) die Ursache, weshalb in einer orthodoxen Synagoge der Gottesdienst von Männern geführt wird.
Aus seiner Analyse schließt Hirsch, dass es unvernünftig wäre, in der Befreiung der Frauen von einer kleinen Zahl Gebote die Zuschreibung einer geistigen Beschränkung zu sehen. Nein, Frauen sind nicht befreit, weil sie jene Gebote nicht richtig erfüllen könnten, sondern, weil sie diese Pflichten nicht zwingend brauchen:
So kann deren Befreiung von anderen zeitbedingten Geboten nicht wahrlich in einer geringeren Würdigkeit motiviert sein, dass das Gesetz Frauen der Erfüllung dieser Gebote etwa nicht für würdig gefunden hätte. Vielmehr liegt, wie wir glauben, es sehr nahe: es hat das göttliche Gesetz die Frauen nicht zur Erfüllung aller dieser Mizwot verpflichtet, weil es diese Verpflichtung für Frauen nicht für nötig7 erachtet. Alle zeitbedingten Gebote sollen von Zeit zu Zeit gewisse Wahrheiten, Gesinnungen, Grundsätze und Vorsätze durch symbolische Handlungen aufs Neue uns zur Erkenntnis und Anerkenntnis bringen, uns zu deren Betätigung und in deren Betätigung aufs Neue anspornen und befestigen. Das göttliche Gesetz setzt bei unseren Frauen eine größere Innigkeit und Begeisterungstreue für ihren Gott dienenden Beruf und eine geringere Gefährdung derselben durch die in ihrem Berufskreise sich bietenden Versuchungen voraus, als dass es für sie alle die die Männer wiederholt zur Berufstreue spornenden und vor Berufsschwäche warnenden Institutionen hätte nötig erachten sollen. So fand ja bei der Urkonstitution des jüdischen Volkes die göttliche Vorsicht es nicht für nötig, ihr Bündnis statt der Mila (Beschneidung) durch ein anderes ewiges Symbol auch im Kreise der Frauen sicherzustellen. So hat Gott auch bei der Erteilung Seines Gesetzes ([Exodus] 19:3) zuerst auf die Treue und Hingebung der Frauen gerechnet, und so hat auch das jüdische Nationalbewusstsein es festgehalten und allen unseren Geschlechtern die Tatsache vererbt, dass in allen Verirrungen und Gesunkenheiten unseres Volkes, überzeugungs- und pflichttreue Frauen den Keim der Wiedererhebung gehegt und gepflegt.8
Anderthalb Jahrhunderte nachdem Rabbiner Hirsch diese Worte schrieb, belegen verschiedene Studien, dass Frauen häufiger Konfessionen angehören, aktiv sind, an Gott glauben und zu Ihm beten, als Männer. Das Pew-Forschungszentrum hat folgendes veröffentlicht: „[T]his study finds that, globally, women are more devout than men by several standard measures of religious commitment“ und „The difference between women and men in self-reported rates of daily prayer is the biggest average gender gap found in this study. Across the 84 countries for which data are available, the average share of women who say they pray daily is eight percentage points higher than the average share of men. Even religiously unaffiliated women in some countries, including the United States and Uruguay, report praying daily at higher rates than unaffiliated men do.“9
Und George H. Gallup Jr. schreibt: „A mountain of Gallup survey data attests to the idea that women are more religious than men, hold their beliefs more firmly, practice their faith more consistently, and work more vigorously for the congregation. In fact, gender-based differences in responses to religious questions are far more pronounced than those between any other demographic categories, such as age, education level, or geographic region. The tendency toward higher religiosity among women has manifested over seven decades of scientific polling, and church membership figures indicate that it probably existed for many decades prior to the advent of survey research in the mid-1930s.“10
Religiös überraschen solche Zusammenflüsse zwischen Religion und Wissenschaft nicht. Vor vielen Jahrhunderte lehrten jüdische Quellen bereits, dass die Welt auf der Erfüllung der Tora abgestimmt ist. Der Schöpfer, der uns Sein Wort offenbart hat, hat schließlich den Menschen erschaffen und kennt seine Schöpfung bestens. Männer brauchen nämlich mehr Hilfe, um Gott treu zu bleiben.
Tätigkeiten der Frau
Das letzte Kapitel der Sprüche Solomons (Kap. XXXI) ist eine Ode an der tüchtigen Frau. In diesem Text, der nach der Tradition vor über 2500 Jahren niedergeschrieben wurde und dessen Lehren bis zu 3000 Jahre alt sind, wird die tüchtige Frau als Geschäftsfrau dargestellt. Während in anderen Kulturen Frauen noch lange kein Eigentum besitzen durften, lobten Juden die Business Woman. Wie einer gegenwärtigen Power-Frau gibt sie ihren Kindern Frühstück, bevor sie auf Geschäftsreise fährt. Diese Frau treibt nicht bloß Handel, sondern produziert hochwertige Ware und wenn sie ihren Mund öffnet, ertönt die Weisheit.
Auch wenn Frauen, in der jüdischen wie in der allgemeinen Geschichte, historisch geringere öffentliche Beiträge leisten konnten, hat die Bibel wiederholt die Heldentaten, Weisheiten und Lehren besonderer Frauen hervorgehoben. So bemerkt der mittelalterliche Bibelkommentator Rabbenu Bachja Ben Ascher (zu Exodus 15:2):
Du wirst große Prinzipien der Tora finden, die durch Frauen zu Ausdruck gebracht wurden, wie das Jenseits, durch Abigail, die künftige Wiederaufstehung der Toten und [überhaupt der Zugang zu] Gebet, durch Channa, die Wiedergeburt der Seelen durch die Frau aus Tekoa. Daraus lässt sich schließen, dass die Frau nicht zweitrangig, sondern auch sie eine Hauptperson ist.
Sich besinnend auf die Tatsache, dass in den Texten, die zum Neujahrsfest Rosch haSchana aus der Tora und den Propheten vorgetragen werden, Frauen die entscheidende Rolle spielen, bemerkt Rabbiner Hirsch:
[D]ie Bilder, die uns der Brauch der Väter aus dem Gottesworte (= aus der Bibel) an den ernsten Schwelle des neuen Jahres [also zu Rosch haSchana ─AF] entgegenführt, [sind] Frauengestalten. Frauen sind es, deren Gedächtnis bekehrend und mahnend, weihend und erhebend die ernste Rosch Haschana-Feier durchdringt; Frauen, aus deren Geschick uns die allnahe Waltung der prüfenden und beglückenden Allmacht entgegenleuchtet; Frauen, von denen wir hoffen und harren, Gott schauen und – beten lernen sollen. Sara, Hagar, Channa, Rachel ziehen als leuchtende Gestalten an unserem Blick vorüber. Und in dem Schmuck des heiligsten Berufes, der höchsten Würde der Frauen glänzen die Gestalten.11
Der Krieg der Geschlechter
Frauen haben sich die Rechte, die in den Sprüchen Solomons selbstverständlich sind, in Wirklichkeit im Westen nur mit großen Mühen erworben. Lange galten Frauen als für viele Berufe nicht tauglich. Auch wenn das Gesetz Frauen bei der Wahl ihres Berufes bereits schützte, haben Frauen schwer kämpfen müssen, um gleich behandelt zu werden, wie die Geschichte von Lois Jenson, die 1984 ihren Arbeitgeber EVTAC in Eveleth, Minnesota wegen Belästigung verklagte. Diese Geschichte wurde 2005 unter dem Titel „North Country“ (deutscher Titel: „Kaltes Land“) verfilmt. Dass diese Geschichte erst so spät auf der großen Leinwand gezeigt wurde, ist vermutlich noch ein Zeugnis der Mühe, die unsere westliche Gesellschaft hat, zu gestehen, wie lange sie weiterhin gegen Frauen diskriminiert hat.
Manche der Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind aber historisch und biologisch bedingt. Nachdem der erste Mann und die erste Frau im Paradies von der Frucht (Hinweis: es war kein Apfel) des Baumes der Erkenntnis aßen, wurden sie von Gott bestraft:
Und zur Frau sprach ER: Ich will dir viele Schmerzen durch häufige Empfängnis bereiten; mit Schmerzen sollst du Kinder gebären; und du sollst nach deinem Manne verlangen, er aber soll herrschen über dich! Und zu Adam sprach er: Dieweil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und von dem Baum gegessen, davon ich dir gebot und sprach: «Du sollst nicht davon essen», verflucht sei der Erdboden um deinetwillen, mit Mühe sollst du dich davon nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Gewächs des Feldes essen. Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück! (Genesis 3:16-19)
Kurz gesagt: Männer werden sehr schwer arbeiten müssen, um Brot auf dem Tisch stellen zu können, während Frauen schmerzhaft gebären werden und das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird ungleich sein. Die Schlussfolgerung des dritten Kapitels der Schöpfungsgeschichte in der Tora ist eine sehr prägnante Zusammenfassung der Geschichte der Geschlechtsverhältnisse.
Eine Theologie der Frauenrechte
Gott ist erbarmensvoll und Seine Strafe nicht ewig. Der Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt schlägt vor12, was wir eine Theologie der Entwicklung der Frauenrechte nennen können. Lange war gebären eine äußerst gefährliche Erfahrung. Viele Frauen starben auf dem Gebärstuhl. Mittlerweile ist Gebären zwar noch immer keine leichte Sache, aber wesentlich sicherer, und kann dank der Epiduralanästhäsie wesentlich weniger schmerzhaft sein.
Auch der Fluch des Mannes hat sich gemildert. Statt „Dornen und Disteln“ hilft uns die moderne Landwirtschaft, eine reiche Ernte zu bekommen. Statt „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“ arbeitet heute nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft und lässt die schwersten Aufgaben von Maschinen verrichten, während die meisten von uns, Männer wie Frauen, in Büros arbeiten und ins Fitnesszentrum gehen, um doch noch ein wenig Schweiß am Angesicht spüren zu können.
Es sieht ganz so aus, dass der Fluch Gottes an Adam und Eva sich allmählich auflöst. Für Goldschmidt ist dies nicht überraschend, denn im Judentum glauben wir an einer künftigen Erlösung, an das Kommen des jüdischen Messias, nach dem wir frei sein werden, uns geistig auf einer ganz anderen, wesentlich erhabeneren Ebene zu entfalten.13 Dazu gehört auch, dass der Aspekt der ungleichen Machtverhältnisse der Geschlechter des Fluches Evas sich ebenfalls löst. So kann man in Aspekten der Frauenbewegung ein Zeichen sehen, dass die Zeit der großen messianischen Erlösung näher kommt.
Diesbezüglich passen die Worte von Rabbiner Hirsch:
[D]ie Tora die Erlösung und den Frieden in alles dieses bringt, Mann und Frau wieder in gleichen, Gott dienenden Priesterberuf einsetzt.14
Anmerkungen
1Was nicht bedeutet, dass alle Bibelkommentare dieser Meinung sind. So übersetzen Targum Pseudo-Jonathan und Rabbi Owadja Seforno beide Zäla als Rippe. Für eine gegenwärtige Auslegung auf Basis der Interpretation von Zäla als Rippe, siehe Rebbetzin Tzipporah Heller, Men & Women: Jewish View of Gender Differences, Aish.com: 2000 (https://www.aish.com/ci/w/48955181.html).
2Um die Wurzel eines Wortes zu erhalten, müssen alle Präfixe und Suffixe außer Betracht bleiben.
3Nach dem Midrasch (Berejschit Rabb 17:2) fehlt diesem Mann auch an Schutz, Frieden und einigen weiteren unentbehrlichen Dingen.
4Die zwei biologisch-technische Ausnahmen sind: Männer dürfen weder ihren Bart mit einem Schermesser, noch ihrer Schlafen kahl scheren. Aus diesem Grund lassen manche orthodoxe Juden Schlaflocken wachsen. Aus hormonalen Gründen haben Frauen keinen Bart (mit wenigen Ausnahmen, die es im Guiness Book of World Records schafften) und sind deshalb weder vom Verbot, den Bart mit einem Messer zu scheren, noch vom damit zusammenhängenden Verbot, die Schlafen kahl zu scheren, betroffen.
5Hirsch Chumasch zu Leviticus 23:46, Verlag Morascha, Basel: 2010, S. 679.
6Als der Tempel Jerusalems noch stadt, waren es insgesamt 9 Mizwot, von denen Frauen befreit waren.
7Kursiv bereits im Originaltext.
8Ebd.
9„The Gender Gap in Religion Around the World; Women are generally more religious than men, particularly among Christians“, Pew: 2016, https://www.pewforum.org/2016/03/22/the-gender-gap-in-religion-around-the-world/
10Georg H. Gallup Jr., „Why Are Women More Religious?“, Gallup: 2002, https://news.gallup.com/poll/7432/Why-Women-More-Religious.aspx
11Thischri-Bilder, in „Gesammelte Schriften von Rabbiner Samson Raphael Hirsch“, herausgegeben von Justizrat Dr. Naphtali Hirsch, Frankfurt am Main, 1904, S. 1.
12Pinchas Goldschmidt, Dvar Tora (Russisch), Jüdische Kultusgemeinde von Russland, 2. Ausgabe: 2010, zu Genesis 3:16.
13Siehe das mögliche Szenario in Arie Folger, Robotik, artifizielle Intelligenz und jüdische Utopie, im Jüdischen Echo 2017.
14Hirsch Chumasch zu Genesis 3:16, Verlag Morascha, Basel: 2008, S. 94.