Simchat Tora – Das Fest, das spät (aber nicht zu spät) zur Feier kam

Simchat_Torah_Tel_Aviv_2008_2

Simchat Tora in Tel Aviv, 2008 – Wikimedia Commons

Austrian-German_Swiss_flags-tiny[Folgender Text ist eine etwas längere, vollständigere Version eines Artikels meiner Wenigkeit, der in der Jüdischen Allgemeine erschien.]

„Ja, ich habe gehört, dass es noch einen Feiertag gibt, aber selbst kann ich nicht frei nehmen, da ich bereits für die Hohen Feiertage frei genommen habe«, erwiderte mein jüdischer (aber leider jüdisch nicht besonders versierter) Professor, als er zustimmte, dass ich eine für Sukkot vorgesehene Prüfung einige Tage früher ablegen kann.

In der Tat ist der jüdische Kalender im Monat Tischri stark mit Feiertagen besetzt. Auf Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot folgen die Feiertage Schemini Azeret am 22. und das große Finale, also Simchat Tora – das Torafreudenfest am 23. Tischri. Jährlich stellen viele Juden unter Beweis, dass jüdische Feiertage heilig und unverhandelbar sind, wenn sie im Tischri mehrere Tage arbeitsfrei nehmen.

Und trotz der von Rosch Haschana, Jom Kippur (wegen der festlichen Mahlzeit vor dem Fasttag und des unvermeidlichen Esswettbewerbs unmittelbar danach) und Sukkot zu eng gewordenen Hosen werden sie sich zu den zwei letzten Feiertagen wieder jeweils nach dem G’ttesdienst an die Festtafel setzen. Da wundert es, dass der fakultative Brauch, zwischen Sukkot und Pessach jeweils am Montag und Donnerstag zu fasten, nicht populärer ist. Immerhin muss ja für die Krapfen und Latkes von Chanukka Platz geschaffen werden.

Was aber bedeuten die letzten beiden Feiertage im Herbst, Schemini Azeret und Simchat Tora? Und wieso feiern Israelis beide Feiertage am gleichen Tag, während wir in der Diaspora sie an zwei Tagen hintereinander feiern?

An zwei Stellen in der Tora werden alle jüdische Feiertage der Reihenfolge nach aufgezählt, einmal im 3. Buch Mose 23 und einmal im 4. Buch Mose 28-29. Alle Feiertage? Nein, einige Feiertage fehlen, insbesondere Simchat Tora. Der Grund dafür ist, dass es eigentlich gar keinen Feiertag mit dem Namen Simchat Tora gibt. Im Gebet nennen wir den letzten Feiertag des Monates Tischri genau wie den Tag davor, »Jom haSchemini, Chag ha’Azeret hase«, den achten Tag, der ein Versammlungstag (also ein Feiertag) ist. Wer in einer Zeitmaschine eine Gemeinde in Rom, Basel oder Köln in 4. Jahrhundert besuchen könnte, würde beobachten, dass sie wie wir den 23. Tischri als Feiertag arbeitsfrei einhalten, aber ohne irgendetwas von Simchat Tora zu wissen.

Der Tag, den wir Simchat Tora nennen, ist nämlich nichts anderes als der letzte Tag von Schemini Azeret, und Schemini Azeret kommt in den obigen Listen in der Tora definitiv vor.

Was feiern wir zu Schemini Azeret?

Wer Simchat Tora besser verstehen will, vertieft sich also zuerst in Schemini Azeret. Und um Schemini Azeret zu verstehen, müssen wir den Tieropferdienst im Tempel Jerusalems betrachten. Im Tempel brachte man im Namen des ganzen Volkes täglich zwei Schafe als Opfer: eines morgens und eines abends. Am Schabbat brachte man zwei zusätzliche Schafe, deshalb beten wir am Schabbat ein Mussafgebet – Mussaf heißt Zusatz. Zu Rosch Chodesch und Jomtow-Tage brachte man als Mussaf jeweils 7 Schafe. Zu Sukkot brachte man aber täglich nicht 7, sondern 14 Schafe. Zu Schemini Azeret brachte man wieder nur 7 Schafe. Daraus lässt sich erahnen, dass Sukkot ein besonderer Feiertag ist. Tatsächlich führt die Tora in der oben erwähnten Liste im 3. B.M. den Feiertag von Sukkot gleich zweimal auf, es ist also ein vielschichtiger, doppelte Feiertag, vielleicht, weil er sowohl der Danksagung für die Ernte und damit für alle Segen, die wir im Leben genießen, also auch eine Zeit bildet, in der wir im Himmel gerichtet werden und für den Regen des kommenden Jahres entschieden wird. Daher beten wir zu Sukkot täglich die Hoschaanot-Bittgebete.

Sukkot ist also sowohl ein Teil der Hohen Feiertage, als auch ein Glied der Wahlfahrtfeste. Daher ein doppeltes Fest mit doppelt so viele Schaafe, die geopfert wurden. Mit dem letzten Tag von Sukkot, Hoschaana Rabba, an dem viele Hoschaanot-Gebete gesprochen wurden, ist das Urteil vollendet; Hoschaana Rabba wirkt wie eine Verlängerung von Jom Kippur. Zu Schemini Azeret erleben wir wieder einen einfachen Feiertag, der Teil der Wahlfahrtfeste ist (allerdings dehnt er sich außerhalb Israel auf zwei Tagen aus, wie immer).

Schauen wir andere Opfer an, die damals im Tempel gebracht wurden, dann lernen wir weitere Aspekte des Tages lernen. Zu Sukkot wurden insgesamt 70 Stiere geopfert, die die 70 Nationen repräsentieren. Zu Sukkot beten wir also für die ganze Welt. Zu Schemini Azeret wurde aber lediglich ein einziges Stier geopfert; es ist also sozusagen ein privates, bescheidene Fest für die »Crew«, die so hart gearbeteitet, also für das Volk Israel, das gerade eine Woche für das Klima (den Regen) und das Wohl der gesamten Menschheit bat.

Allerdings ist der Feiertag bescheiden: Es gibt keine besondere Mizwa, die ausgerechnet zu Schemini Azeret erfüllt wird, wie Mazza zu Pessach und die Sukka an Sukkot. Damit lädt dieses Fest zu weiteren Schichten der Deutung ein.

Um wie kam Simchat Tora dazu?

Um zu verstehen, wie Simchat Tora zu Stande kam, müssen wir nun vom wöchentlichen Schabbatg“ttesdienst sprechen. Heutzutage lesen wir wöchentlich eine Parascha (manchmal eine Doppelparascha), damit wir in einem Jahr den gesamten Pentateuch, die fünf Bücher Mose, in der Synagoge vortragen.

Das war nicht immer und überall so. In der Spätantike und im frühen Mittelalter bestanden diesbezüglich zwei ganz unterschiedliche Bräuche. In Persien – das wir Juden noch immer Babylonien nannten – entstand der Vorläufer des heutigen Brauchs: Man vollendete die Tora in einem Jahr. Im Heiligen Land vollendete man die Tora aber in dreieinhalb Jahren und erläuterte dafür wöchentlich die rabbinische Exegese, also die Auslegung der mündlichen Überlieferung zum Wochenabschnitt (das Gebet verlangte also nicht weniger Zeit als heute).

Erst als sich der babylonische Brauch vollständig durchsetzte und man sich überall entschied, am zweiten Tag von Schemini Azeret die Tora gemeinsam zu vollenden, konnte das Fest Simchat Tora entstehen. Im achten Jahrhundert wird der zweite Tag von Schemini Azeret zum ersten Mal Simchat Tora genannt. Im zwölften Jahrhundert kann Maimonides nur noch von einer Synagoge in Kairo berichten, die noch nach dem alten erezisraelischen Brauch die Tora in über drei Jahren vollendete; das Feld war frei für eine allgemeine Einführung von Simchat Tora.

Damit kam Simchat Tora relativ spät zu den Festen hinzu, ist aber deswegen nicht weniger feierlich.

Bräuche zu Simchat Tora

Die am meisten mit Simchat Tora verbundene Zeremonie sind die Hakkafot, rituelle Prozessionen – ein ähnlicher Brauch wie an Hoschana Rabba. Zu Simchat Tora werden alle Torarollen aus dem Schrein genommen und in sieben Umkreisungen um die Bima getragen. Dies findet während des Abendg’ttesdienstes statt, aber auch vor den Toralesungen am Morgen.

Obwohl ein Kind unter 13 Jahren nicht zur Tora aufgerufen wird, hat sich zu Simchat Tora die Tradition des Kol HaNe’arim – »alle Kinder« – entwickelt. Alle Kinder einer Gemeinde werden gemeinsam zur Tora aufgerufen, sie erhalten eine gemeinsame Alija. Über die Gruppe wird ein Tallit gebreitet: die Tora-Segensprüche, geleitet von einem Erwachsenen, werden gesprochen. Am Schluss der Lesung rezitiert die Gemeinde Jakobs Segen für seine Enkel Ephraim und Menasche, als speziellen Segen für die Kinder: Der Engel, der mich erlöset hat aus allem Übel, segne die Knaben, und genannt werde an ihnen mein Name und der Name meiner Väter Awraham und Jitzchak, und sie mögen sich mehren zur Menge im Lande (1. Buch Mose 48, 16).

Die Tora gemeinsam in einem Jahr zu vollenden, ist eine nennenswerte Leistung, die heiter gefeiert wird – heute auch mit »Bonbonwerfen« von der Bima, worüber sich vor allem die Kinder freuen. Allerdings kann jemand, der von dieser Leistung wenig weiß, Simchat Tora auch kaum verstehen.

Simchat Tora in Israel

In Israel, wo Schemini Azeret nur einen Tag dauert, wird Simchat Tora am einzigen Tag von Schemini gefeiert; der einzige Tag ist schließlich auch der letzte Tag von Schemini Azeret. Dafür haben Israelis in den letzten Jahren den Brauch von Hakafot Schenijot eingeführt. Nach dem Feiertagsausgang (wenn wir in der Diaspora mit Simchat Tora erst anfangen), feiern sie weiter. Da aber Schemini Azeret und sein Werktätigkeitsverbot mit Anbruch der Nacht vorbei sind, tanzt man zu den israelischen Hakafot Schnijot mit Musik, mit viel, heitere und laute Musik.

Aus den Annalen der Geschichte

In 1663 beschreibt das spätere Mitglied des britischen Parlamentes Samuel Pepys in seinem Tagebuch einen Besuch in der spanisch-portugiesischen Synagoge in London, der leider ausgerechnet und für ihn unerwarteter Weise zu Simchat Tora stattfand. Pepys war entsetzt vom wilden Tanzen und Gesang (und von den hebräischen Texten, die er nicht verstehen konnte):

Solche Unordnung, Gelächter, .. und keine Aufmerksamkeit, nur Verwirrung in ihrem gesamten G“ttesdienst, eher wie Ungebildete …, würde einem abschwören lassen, sie jeweils noch aufzusuchen… Auch könnte keiner sich vorstellen, dass es überhaupt eine Religion gibt, die sich so verwirklicht.

Pepys war nicht in der Lage, die unheimliche Schönheit von Simchat Tora zu erkennen. Welches andere Volk liebt sein Gesetz so, wie wir, die mit der Tora tanzen!

Weitere Bräuche

Nach askenasischem Brauch wird in der Diaspora zum ersten Tag Schmini Azeret meistens noch in der Sukka gegessen. Auch chassidische Juden, die an Schemini Azeret nicht alle Mahlzeiten in der Sukka essen, tun dies am Vormittag dennoch und alle sprechen anschließend ein Gebet zum Abschied­nehmen von der Sukka.

Zum ersten Tag von Schemini Azeret werden auch zwei besondere Gebete gesprochen. Wir gedenken der Verstorbenen im Gebet („Jiskor“, „Maskir“ „Haskarat Neschamot“ genannt), und während der Wieder­holung des Mussafgebetes durch den Chasan (Kantor) wird eine ausführliche Bitte um Regen Namens Tefillat Geschem gesprochen, da in Israel auf Sukkot die für den landwirtschaftlichen Erfolg unentbehrliche Regensaison folgt. Von diesem Mussafgebet an, bis zum ersten Tag des Pessachfestes werden zu Beginn der Amida (des Stehgebetes) die Wörter Maschiw haRuach uMorid haGeschem eingefügt. Mit diesen Worten anerkennt man, dass G”tt der ist, der den Regen bringt.

„Ja, ich habe gehört, dass es noch einen Feiertag gibt, aber selbst kann ich nicht frei nehmen, da ich bereits für die Hohen Feiertage frei genommen habe«, erwiderte mein jüdischer (aber leider jüdisch nicht besonders versierter) Professor, als er zustimmte, dass ich eine für Sukkot vorgesehene Prüfung einige Tage früher ablegen kann.

In der Tat ist der jüdische Kalender im Monat Tischri stark mit Feiertagen besetzt. Auf Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot folgen die Feiertage Schemini Azeret am 22. und das große Finale, also Simchat Tora – das Torafreudenfest am 23. Tischri. Jährlich stellen viele Juden unter Beweis, dass jüdische Feiertage heilig und unverhandelbar sind, wenn sie im Tischri mehrere Tage arbeitsfrei nehmen.

Und trotz der von Rosch Haschana, Jom Kippur (wegen der festlichen Mahlzeit vor dem Fasttag und des unvermeidlichen Esswettbewerbs unmittelbar danach) und Sukkot zu eng gewordenen Hosen werden sie sich zu den zwei letzten Feiertagen wieder jeweils nach dem G’ttesdienst an die Festtafel setzen. Da wundert es, dass der fakultative Brauch, zwischen Sukkot und Pessach jeweils am Montag und Donnerstag zu fasten, nicht populärer ist. Immerhin muss ja für die Krapfen und Latkes von Chanukka Platz geschaffen werden.

Was aber bedeuten die letzten beiden Feiertage im Herbst, Schemini Azeret und Simchat Tora? Und wieso feiern Israelis beide Feiertage am gleichen Tag, während wir in der Diaspora sie an zwei Tagen hintereinander feiern?

An zwei Stellen in der Tora werden alle jüdische Feiertage der Reihenfolge nach aufgezählt, einmal im 3. Buch Mose 23 und einmal im 4. Buch Mose 28-29. Alle Feiertage? Nein, einige Feiertage fehlen, insbesondere Simchat Tora. Der Grund dafür ist, dass es eigentlich gar keinen Feiertag mit dem Namen Simchat Tora gibt. Im Gebet nennen wir den letzten Feiertag des Monates Tischri genau wie den Tag davor, »Jom haSchemini, Chag ha’Azeret hase«, den achten Tag, der ein Versammlungstag (also ein Feiertag) ist. Wer in einer Zeitmaschine eine Gemeinde in Rom, Basel oder Köln in 4. Jahrhundert besuchen könnte, würde beobachten, dass sie wie wir den 23. Tischri als Feiertag arbeitsfrei einhalten, aber ohne irgendetwas von Simchat Tora zu wissen.

Der Tag, den wir Simchat Tora nennen, ist nämlich nichts anderes als der letzte Tag von Schemini Azeret, und Schemini Azeret kommt in den obigen Listen in der Tora definitiv vor.

Was feiern wir zu Schemini Azeret?

Wer Simchat Tora besser verstehen will, vertieft sich also zuerst in Schemini Azeret. Und um Schemini Azeret zu verstehen, müssen wir den Tieropferdienst im Tempel Jerusalems betrachten. Im Tempel brachte man im Namen des ganzen Volkes täglich zwei Schafe als Opfer: eines morgens und eines abends. Am Schabbat brachte man zwei zusätzliche Schafe, deshalb beten wir am Schabbat ein Mussafgebet – Mussaf heißt Zusatz. Zu Rosch Chodesch und Jomtow-Tage brachte man als Mussaf jeweils 7 Schafe. Zu Sukkot brachte man aber täglich nicht 7, sondern 14 Schafe. Zu Schemini Azeret brachte man wieder nur 7 Schafe. Daraus lässt sich erahnen, dass Sukkot ein besonderer Feiertag ist. Tatsächlich führt die Tora in der oben erwähnten Liste im 3. B.M. den Feiertag von Sukkot gleich zweimal auf, es ist also ein vielschichtiger, doppelte Feiertag, vielleicht, weil er sowohl der Danksagung für die Ernte und damit für alle Segen, die wir im Leben genießen, also auch eine Zeit bildet, in der wir im Himmel gerichtet werden und für den Regen des kommenden Jahres entschieden wird. Daher beten wir zu Sukkot täglich die Hoschaanot-Bittgebete.

Sukkot ist also sowohl ein Teil der Hohen Feiertage, als auch ein Glied der Wahlfahrtfeste. Daher ein doppeltes Fest mit doppelt so viele Schaafe, die geopfert wurden. Mit dem letzten Tag von Sukkot, Hoschaana Rabba, an dem viele Hoschaanot-Gebete gesprochen wurden, ist das Urteil vollendet; Hoschaana Rabba wirkt wie eine Verlängerung von Jom Kippur. Zu Schemini Azeret erleben wir wieder einen einfachen Feiertag, der Teil der Wahlfahrtfeste ist (allerdings dehnt er sich außerhalb Israel auf zwei Tagen aus, wie immer).

Schauen wir andere Opfer an, die damals im Tempel gebracht wurden, dann lernen wir weitere Aspekte des Tages lernen. Zu Sukkot wurden insgesamt 70 Stiere geopfert, die die 70 Nationen repräsentieren. Zu Sukkot beten wir also für die ganze Welt. Zu Schemini Azeret wurde aber lediglich ein einziges Stier geopfert; es ist also sozusagen ein privates, bescheidene Fest für die »Crew«, die so hart gearbeteitet, also für das Volk Israel, das gerade eine Woche für das Klima (den Regen) und das Wohl der gesamten Menschheit bat.

Allerdings ist der Feiertag bescheiden: Es gibt keine besondere Mizwa, die ausgerechnet zu Schemini Azeret erfüllt wird, wie Mazza zu Pessach und die Sukka an Sukkot. Damit lädt dieses Fest zu weiteren Schichten der Deutung ein.

Um wie kam Simchat Tora dazu?

Um zu verstehen, wie Simchat Tora zu Stande kam, müssen wir nun vom wöchentlichen Schabbatg“ttesdienst sprechen. Heutzutage lesen wir wöchentlich eine Parascha (manchmal eine Doppelparascha), damit wir in einem Jahr den gesamten Pentateuch, die fünf Bücher Mose, in der Synagoge vortragen.

Das war nicht immer und überall so. In der Spätantike und im frühen Mittelalter bestanden diesbezüglich zwei ganz unterschiedliche Bräuche. In Persien – das wir Juden noch immer Babylonien nannten – entstand der Vorläufer des heutigen Brauchs: Man vollendete die Tora in einem Jahr. Im Heiligen Land vollendete man die Tora aber in dreieinhalb Jahren und erläuterte dafür wöchentlich die rabbinische Exegese, also die Auslegung der mündlichen Überlieferung zum Wochenabschnitt (das Gebet verlangte also nicht weniger Zeit als heute).

Erst als sich der babylonische Brauch vollständig durchsetzte und man sich überall entschied, am zweiten Tag von Schemini Azeret die Tora gemeinsam zu vollenden, konnte das Fest Simchat Tora entstehen. Im achten Jahrhundert wird der zweite Tag von Schemini Azeret zum ersten Mal Simchat Tora genannt. Im zwölften Jahrhundert kann Maimonides nur noch von einer Synagoge in Kairo berichten, die noch nach dem alten erezisraelischen Brauch die Tora in über drei Jahren vollendete; das Feld war frei für eine allgemeine Einführung von Simchat Tora.

Damit kam Simchat Tora relativ spät zu den Festen hinzu, ist aber deswegen nicht weniger feierlich.

Bräuche zu Simchat Tora

Die am meisten mit Simchat Tora verbundene Zeremonie sind die Hakkafot, rituelle Prozessionen – ein ähnlicher Brauch wie an Hoschana Rabba. Zu Simchat Tora werden alle Torarollen aus dem Schrein genommen und in sieben Umkreisungen um die Bima getragen. Dies findet während des Abendg’ttesdienstes statt, aber auch vor den Toralesungen am Morgen.

Obwohl ein Kind unter 13 Jahren nicht zur Tora aufgerufen wird, hat sich zu Simchat Tora die Tradition des Kol HaNe’arim – »alle Kinder« – entwickelt. Alle Kinder einer Gemeinde werden gemeinsam zur Tora aufgerufen, sie erhalten eine gemeinsame Alija. Über die Gruppe wird ein Tallit gebreitet: die Tora-Segensprüche, geleitet von einem Erwachsenen, werden gesprochen. Am Schluss der Lesung rezitiert die Gemeinde Jakobs Segen für seine Enkel Ephraim und Menasche, als speziellen Segen für die Kinder: Der Engel, der mich erlöset hat aus allem Übel, segne die Knaben, und genannt werde an ihnen mein Name und der Name meiner Väter Awraham und Jitzchak, und sie mögen sich mehren zur Menge im Lande (1. Buch Mose 48, 16).

Die Tora gemeinsam in einem Jahr zu vollenden, ist eine nennenswerte Leistung, die heiter gefeiert wird – heute auch mit »Bonbonwerfen« von der Bima, worüber sich vor allem die Kinder freuen. Allerdings kann jemand, der von dieser Leistung wenig weiß, Simchat Tora auch kaum verstehen.

Simchat Tora in Israel

In Israel, wo Schemini Azeret nur einen Tag dauert, wird Simchat Tora am einzigen Tag von Schemini gefeiert; der einzige Tag ist schließlich auch der letzte Tag von Schemini Azeret. Dafür haben Israelis in den letzten Jahren den Brauch von Hakafot Schenijot eingeführt. Nach dem Feiertagsausgang (wenn wir in der Diaspora mit Simchat Tora erst anfangen), feiern sienämlich  weiter. Da aber Schemini Azeret und sein Werktätigkeitsverbot mit Anbruch der Nacht vorbei sind, tanzt man zu den israelischen Hakafot Schnijot mit Musik, mit viel, heitere und laute Musik.

Aus den Annalen der Geschichte

In 1663 beschreibt das spätere Mitglied des britischen Parlamentes Samuel Pepys in seinem Tagebuch einen Besuch in der spanisch-portugiesischen Synagoge in London, der leider ausgerechnet und für ihn unerwarteter Weise zu Simchat Tora stattfand. Pepys war entsetzt vom wilden Tanzen und Gesang (und von den hebräischen Texten, die er nicht verstehen konnte):

Solche Unordnung, Gelächter, .. und keine Aufmerksamkeit, nur Verwirrung in ihrem gesamten G“ttesdienst, eher wie Ungebildete …, würde einem abschwören lassen, sie jeweils noch aufzusuchen… Auch könnte keiner sich vorstellen, dass es überhaupt eine Religion gibt, die sich so verwirklicht.

Pepys war nicht in der Lage, die unheimliche Schönheit von Simchat Tora zu erkennen. Welches andere Volk liebt sein Gesetz so, wie wir, die mit der Tora tanzen!

Weitere Bräuche

Nach askenasischem Brauch wird in der Diaspora zum ersten Tag Schmini Azeret meistens noch in der Sukka gegessen. Auch chassidische Juden, die an Schemini Azeret nicht alle Mahlzeiten in der Sukka essen, tun dies am Vormittag dennoch und alle sprechen anschließend ein Gebet zum Abschied­nehmen von der Sukka.

Zum ersten Tag von Schemini Azeret werden auch zwei besondere Gebete gesprochen. Wir gedenken der Verstorbenen im Gebet („Jiskor“, „Maskir“ „Haskarat Neschamot“ genannt), und während der Wieder­holung des Mussafgebetes durch den Chasan (Kantor) wird eine ausführliche Bitte um Regen Namens Tefillat Geschem gesprochen, da in Israel auf Sukkot die für den landwirtschaftlichen Erfolg unentbehrliche Regensaison folgt. Von diesem Mussafgebet an, bis zum ersten Tag des Pessachfestes werden zu Beginn der Amida (des Stehgebetes) die Wörter Maschiw haRuach uMorid haGeschem eingefügt. Mit diesen Worten anerkennt man, dass G”tt der ist, der den Regen bringt.

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