Aus dem neuesten ORD-Magazin: Rabbiner Arie Folger aus Wien schloss sich am Sonntag 3. November Rabbinern der ORD in Berlin für eine Tagung mit katholischen Bischöfen an. Anbei ein Interview zu dieser Tagung und zur Bedeutung interreligiöser Begegnungen.
Herr Rabbiner Folger, Sie kommen soeben von einer interreligiösen Fachtagung der ORD mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zurück. Finden Sie solche Begegnungen wichtig; wenn ja, wieso?
Seit Beginn meiner Tätigkeit als Gemeinderabbiner bin ich interreligiös tätig. Meine rabbinische Kollegen in Deutschland und anderswo in Europa tun das genau so. Allerdings ist diese Arbeit in den letzten Jahren viel wichtiger geworden. Sptestens nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle ist jedem klar, dass die Gesellschaft noch immer nicht verstanden hatte, wie der latente Antisemitismus in der Gesellschaft derart präsent ist, dass er immer wieder aus der schlummernden Phase Täter erregt, ihre Vorurteile mit Gewalt zu Ausdruck zu bringen.
Sprich: damit wir den Antisemitismus stärker bekämpfen können, brauchen wir die Hilfe der Religionsgemeinschaften. Wir sehen in den letzten Jahre auch immer wieder, wie schwer die Politik sich tut, den Antisemitismus anzuerkennen, insbesondere wo er nicht im politischen Narrativ einer Partei passt. Und auch wenn die Politik richtige und wichtige Entscheidungen trifft, passiert es durchaus, dass diese Entscheidungen nicht zwingend bei Beamten, insbesondere bei Staatsanwaltschaften, Richtern, bei der Polizei und in Schulen durchdringen.
Aber: Unsere interreligiösen Beziehungen entstanden nicht erst nach der Attacke in Halle, und die ersten Früchte dieses fruchtbaren Dialogs wuchsen nicht erst mit den Mahnwachen seit Halle. Bereits während der Beschneidungsdebatte in 2012-13 standen sowohl die katholische Kirche als auch die evangelischen Kirchen an unsere Seite, um die Religionsfreiheit zu verteidigen. Der muslimisch-jüdischer Dialog ist zwar wesentlich jünger und in einer früheren Phase der Vertiefung, und steht vor anderen Herausforderungen, aber auch er entwickelt sich und soll besondere Beiträge für den gesellschaftlichen Frieden bringen.
Sind die theologische Spaltungen zwischen unseren jeweiligen Religionsgemeinschaften dafür nicht zu tief?
Ein Merkmal der Art, wie wir als orthodoxe Rabbiner uns am Dialog beteiligen, ist, dass wir nicht versuchen, den theologische Differenzen aus dem Weg zu gehen oder zu vertuschen. Vielmehr betonen wir, wie es in der bahnbrechenden Verkündung international führender orthodoxen Rabbinate an die katholische Kirche namens Zwischen Jerusalem und Rom heißt, dass es zwischen uns unüberbrückbare theologische Differenzen gibt. Unser gegenseitiger Respekt kommt nicht von einer Vertuschung unserer Differenzen, sondern aus einem tiefen Respekt für die theologische Unabhängigkeit jeder Konfession und der Begegnung auf Augenhöhe.
Die Betonung dieser Differenzen hindert uns nicht daran, im gleichen Dokument zu verkünden:
Trotz dieser grundlegenden Unterschiede haben einige der höchsten Autoritäten des Judentums erklärt, dass den Christen ein besonderer Status gebührt, da sie den Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten, der das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft befreite und dessen Vorsehung der gesamten Schöpfung gilt.
Welche theologische Prinzipien verhandeln Sie dabei?
Kein einziges. Das Prinzip unserer Begegnung auf Augenhöhe ist, dass wir keinen gegenseitigen „theologischen Handel“ betreiben. Wir kommen, einander kennenzulernen, einander zu verstehen, und suchen Wege, um gemeinsam einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, unsere Rechte zu wahren und uns für das Ansehen von Religion und religiösen Menschen im allgemeinem einzusetzen. Dabei befolgen wir die Weisungen von Rabbiner Joseph Ber Soloveitchik, der schrieb:
[Wir,] Mitglieder der Gemeinschaft der Wenigen [sollten] immer mit Takt und Verständnis handeln und es unterlassen, der Gemeinschaft der vielen, die stolz und umsichtig sind, Veränderungen in ihren Ritualen oder Verbesserungen ihrer Texte vor-zuschlagen. … Die Nichteinmischung und Nichteinbeziehung in etwas, das uns völlig fremd ist, ist eine conditio sine qua non für die Förderung von Wohlwollen und gegenseitigem Respekt. …
[Wir] sind in unserer durch das Martyrium von Millionen geheiligten Geschichte sicherlich nicht autorisiert worden, einer anderen Glaubensgemeinschaft auch nur hinzuweisen, dass wir geistig bereit wären, historische Haltungen zu revidieren, Gefälligkeiten im Zusammenhang mit grundlegenden Glaubensfragen zu verhandeln und „einige“ unserer Differenzen auszugleichen.
Findet diese Fachtagung regelmäßig statt?
Diese Fachtagung ist neu. Es bestand bereits ein jährliches Treffen zwischen Rabbinern und Bischöfen, aber hier treffen sich insbesondere orthodoxe Rabbiner mit katholischen Bischöfen.
Wie kam dieses Treffen zustande?
Im Sommer 2018 veröffentlichte die theologische Zeitschrift Communio eine Schrift vom emeritierten Papst Benedikt XVI, in der einiges geschrieben wurde, dass in vielen Kreisen schlecht angekommen ist. Wie viele andere schrieb auch ich eine Kritik jener Schrift; allerdings zeigte ich mehr Verständnis als viele andere Kritiker. Viele störten sich daran, dass trotz des intensiven jüdisch-katholischen Dialogs, trotz des Bekenntnisses der Kirche, dass G“ttes Bund mit dem jüdischen Volk ungekündigt und unkündbar ist, Benedikt den Lesern ins Ohr flüstere, dass nach seiner Meinung sogar für Juden keinen Heilweg ohne Glaube an Jesus möglich ist.
Ich störe mich nicht daran. Schließlich glauben wir Juden auch an einen einzigen Heilweg, der eben mit dem christlichen Heilweg in Widerspruch steht. Für uns ist ausgerechnet der Glaube an Jesus etwas, dass den Heilweg eines Juden abbrechen wird. Dass wir trotzdem Wege finden, um unsere gegenseitige Brüderlichkeit zu stärken und theologisch zu stützen, zeigt, wie gut die christlich-jüdische Beziehung sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.
Hingegen fand ich andere Thesen seiner Schrift problematisch. Noch mehr aber störten wir uns an dem Begleitbrief von Kurt Kardinal Koch, dem Vorsitzenden der päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen mit dem Judentum, der glaubte, die „theologischen Reflexionen [der Schrift Benedikt] in das künftige Gespräch zwischen Kirche und Israel eingebracht werden sollten“ und „der vorliegende Beitrag das jüdisch-katholische Gespräch bereichern wird“. Darauf reagierte die ORD in einem scharfen offenen Brief, den auch meine Wenigkeit mit unterschreiben durfte, und schrieb: „Für uns stellen sich damit mehr Fragen und Zweifel als positive, zukunftsgerichtete Denkanstöße.“
Kardinal Koch versuchte in einem Antwortbrief, sich und den emeritierten Papst zu erklären, und lud uns zu einem Treffen an. Wir wählten als Veranstaltungsort den Vatikan und am 15. und 16. Januar 2019 traf sich eine Delegation von fünf Rabbinern der ORD, sich für ein langes und angespanntes Gespräch mit Kardinal Koch und Pater Norbert Hofmann. Bei diesem Treffen erlangten wir wichtige Richtigstellungen des Vatikans uns lernten eine Menge über die interne Politik, Überlegungen und theologische Betrachtungen im Vatikans bezüglich verschiedener jüdischen Themen.
Am Folgetag trafen sich drei der Rabbinern mit Benedikt für ein langes und fruchtbares Gespräch, während welche Benedikt und Kardinal Koch sich entschieden, um sich noch stärker für die Religionsfreiheit in jenen Bereichen einzusetzen, die für Juden wichtig sind.
Was wurde bei der Tagung in Berlin besprochen?
Zwei Themen standen im Vordergrund, einerseits die orthodoxe Deklaration Zwischen Jerusalem und Rom uns ihre theologische Bedeutung, anderseits die religiöse Bedeutung des Staates Israels. Dieses letzte Thema war Gegenstand unserer Kritik an Benedikt und Koch, und wurde zu unserem Treffen ausführlich thematisiert. Fünfundzwanzig Jahre nach der diplomatischen Anerkennung des Staates Israels durch den Vatikan ist er jetzt bereit, die religiöse Bedeutung des Staates zu besprechen. Deshalb entschieden wir uns dort, einige Tagungen zu diesem Thema zu planen. Das Treffen in Berlin ist eine direkte Folge unseres Dialogs.
Was ist das Ziel dieser Tagungen?
Dass der Vatikan mit seiner diplomatischen Neutralität nicht – ohne es zu wollen – den neuen Antisemitismus in Form des Antizionismus in eigenen Reihen und anderswo stärkt. Der Vatikan soll auch nicht alle Arten historische Revisionismus aus Versehen oder aus realpolitischen Überlegungen stillschweigend unterstützen soll. Ein Beispiel solcher Revisionismusn bildet die Abstimmung der Unesco am 12. Oktober 2016 in der der Tempelberg ausschließlich als muslimische Stätte mit dem muslimischen Namen Haram al-Scharif aufgeführt wird und damit die jüdische Bedeutung des ihm heiligsten Ortes stillschweigend geleugnet wird.
Was bringen solche Begegnungen?
Erstens bauen wir Vorurteile ab, aber mittlerweile legen wir die Grundlage für wichtige politische und gesellschaftliche Engagements. Bezüglich der jüngsten Tagung hoffen wir, dass die katholischen Teilnehmer, die alle von der religiösen Bedeutung des Staates Israels überzeugt sind, eine kirchliche und zivilgesellschaftliche Welle auslösen werden, die sich verstärkt gegen der Deligitimisation Israels wehren wird. Dabei verlangen wir nicht, dass die Zivilgesellschaft jede politische Entscheidung einer Regierung Israels akzeptiert; das ist nicht das Thema. Aber die drei „D“, Doppelstandards, Dämonisierung und Delegitimisation in eigenen und anderen Reihen erkannt und bekämpft werden. Auch das ist Teil der Bekämpfung des Antisemitismus.
Woran messen Sie den Erfolg?
An Aktionen, um die Mitglieder der Kirche zu sensibilisieren (z.B. Erziehungsmaterialien) und an öffentliche Stellungnahmen, die allerdings nicht immer unmittelbar, sondern eher im Sog der Monaten und Jahren des dauerhaften Engagement entstehen. Dabei geschieht auch ganz viel hinter den Kulissen.
Werden die Beiträge Ihres Arbeitstreffen veröffentlicht?
Es war eine geschlossene Sitzung, in der zum Teil heikle und sensible Themen besprochen wurden. Nicht alle solche Beiträge eignen sich für den öffentlichen Diskurs.
Können Sie uns dennoch ein nennenswertes Zitat verraten?
Ja. Prof. Barbara Schmitz, die „Altes Testament“ an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität in Würzburg unterrichtet, bemerkte, dass in Zwischen Jerusalem und Rom zwar Grenzen gezogen werden. Erst aber durch diese Grenze können Räume für den Dialog und für die Begegnung entstehen. Man kann so in Berlin den Raum zwischen Jerusalem und Rom erkennen.
1Gefahr für den Dialog, Jüdische Allgemeine 16.97.2018
Given how little Europe’s Christians do on behalf of Copt and other fellow Christians in the MIddle East and Islamist countries in Africa, I am not hopeful.
It is indeed odd, but repeatedly, it’s the Jewish community in particular that has reminded the churches to be more vocal in defense of persecuted Christians.
We’re discussing different topics. Your post advocates making a statement. I didn’t argue against making it, I just gave a depressing estimate of whether it would help. Your reply returns to the “should” theme; you don’t argue that think it would be effective.
So I don’t know about your “but”.