Von Rabbiner Schlomo Hofmeister
In unserer dieswöchigen Parascha, wiederholt die Tora noch einmal die Auflistung der Asseres Ha-Dibros ─ Die Zehn Gebote. Einerseits ist diese nochmalige Auflistung jener, wie auch vieler anderer Gebote und Vorschriften in Buch Dewarim, an die junge Generation gerichtet, die bei der Offenbarung der Tora 40 Jahre zuvor noch nicht geboren war. Damit betont Mosche, dass der Gesetzesbund der Tora zwar in der Generation des Auszugs aus Ägypten geschlossen wurde, jedoch auch für die danach geborene, sowie für alle zukünfitgen Generationen Gültigkeit hat. Gleichzeitig werden uns aber dadurch, bei genauerer Analyse, auch tiefere Aspekte und Konzepte im Zusammenhang mit den Geboten und Verboten der Tora vermittelt, denn der Text der Asseres Ha-Dibros in unserer Parascha entspricht nicht genau dem Wortlaut der Asseres Ha-Dibros in Paraschat Jisro! Dort heisst es beispielsweise im 4. Gebot: „Sachor et-Jom Ha-Schabbat” (Gedenke des Schabbattages), während in unserer Parascha steht: „Schamor et-Jom Ha-Schabbat” (Bewahre den Schabbattag).
„Sachor” bedeutet die Aufforderung, den Schabbat als einen besonderen Tag zu widmen, und bezieht sich damit auf die besonderen Gebote des Schabbat, nämlich: 1.) die Schabbat-Kerzen, 2.) der Kiddusch, 3.) die zwei Barches, 4.) die drei Festmahlzeiten, sowie 5.) die Hawdala bei Schabbesausgang. Wer diese Mizwot befolgt, der „macht Schabbat”. Das ist der eine Aspekt von Schabbat.
„Schamor” bedeutet, den Schabbat zu halten, und bezieht sich auf die Melachot, all jene am Schabbat verbotenen Aktivitäten. Dabei handelt es sich jedoch nicht um zwei verschiedene Versionen des 4. Gebots, vielmehr zitiert Raschi hierzu aus der Mechilta, wie wir auch jeden Freitag Abend bei Kabbalat Schabbat im Lied Lecha Dodi singen: „Schamor veSachor beDibur Echad”. Damit meint der Dichter des Lecha Dodi, Raw Schelomo Alkawez, wie auch die Gemara im Talmud (Rosch HaSchana 27a) erklärt, dass G”tt, als er die 10 Gebote am Berg Sinai gab, die beiden Worte „Schamor” und „Sachor” gleichzeitig aussprach, etwas, das dem menschlichen Mund nicht möglich wäre, und auch unser Ohr nicht verstehen würde.
Damit wir dennoch beide Worte „hören” können, steht bei den beiden Auflistungen der 10 Gebote in der Tora einmal das eine und einmal das andere Wort. Ausserdem erinnern wir jeden Schabbat an diese zwei Aspekte, indem wir mindestens zwei Schabbatkerzen anzünden: eine für Sachor, und eine für Schamor.
Dass diese beiden Worte eigentlich als ein einziges Wort („beDibur Echad”) gegeben wurden, bedeutet, dass die Aufforderung Schabbat „zu machen” untrennbar mit der Warnung Schabbat „zu halten” verbunden ist. Jeder dieser beiden Aspekte hätte ohne den jeweils anderen nur eine eher eingeschränkte Bedeutung. Wenn wir zwar Kerzen zünden und Kiddusch machen, aber die Schabbatvorschriften nicht beachten, wäre das ungefähr so inhaltsvoll, wie wenn wir zwar den ganzen Schabbat kein Verbot übertreten würden, aber weder Kerzen zünden, noch Kiddusch machen würden.
Aus dieser tiefen, ja untrennbaren Verknüpfung der Schabbat-Gebote mit den Schabbat-Verboten ergibt sich ein weiteres, uns besonders wichtiges Konzept: Während Frauen, im Gegensatz zu Männern, eigentlich nicht zur Befolgung all jener Toravorschriften verpflichtet sind, die an eine bestimmte Zeit gebunden sind (z. B. Talis, Tefilin, Schofar, Sukka oder Lulav und Esrog), sind Frauen zu allen Geboten von Schabbat (Schabbatkerzen, Kiddusch, …) gleichermassen verpflichtet wie Männer (und Männer, wie Frauen). Dahinter steht die Logik, dass die Verbote von Schabbat, die für Frauen selbstverständlich genauso gelten wie für Männer, eben an die spezifischen Gebote von Schabbat gebunden sind, und daher beide Aspekte für Frauen verpflichtend sind. Ähnliches sehen wir auch betreffend der Pesachvorschriften, wo die Tora sowohl das Verbot erwähnt Chomez zu essen, als auch das Gebot Mazza zu essen. Daher, obwohl es sich um eine zeitgebundene Vorschrift handelt, sind auch Frauen verpflichtet am Seder Abend die vorgeschriebenen Mengen an Mazza und Maror zu essen, da auch diesbezüglich, wie am Schabbat, jene Gebote für alle gelten, die auch an die entsprechenden Verbote gebunden sind.