
Eine Synagoge, die für die Hohe Feiertage in Weiß geschmuckt ist.
Von Rabbiner Schlomo Hofmeister
Klar, Teschuwa (Umkehr und Reue) ist wichtig. Deshalb sprechen wir an Jom Kippur acht mal das lange Sündenbekenntnis ‘Al Chet (neun, wenn wir die Nachmittag vor Jom Kippur dazu zählen): eine ellenlange Liste von Sünden, einschließlich solche, die man beging, solche, die man nicht beging, und solche, die man leider geneigt sein könnte, sie begehen zu wollen. Aber sicher reicht ein Tag dafür, wozu sollen wir 10 Bußtage von Rosch ha-Schana bis Jom Kippur haben. Und überhaupt, wozu braucht man noch vor Rosch ha-Schana einen gesamten Monat Elul als Teschuwa-Monat?
Es ist Rosch Ha-Schana, und nicht Jom Kippur, der als Jom Ha-Din (Tag des Gerichts) bezeichnet wird. Rechenschaft haben wir also bereits dann über unsere jüdische Lebensführung und vor allem auch unser zwischenmenschliches Benehmen abzulegen. Die 29 Tage des Monats Elul sind aber Jemej Rachamim (Tage der Nachsicht und Vergebung). Sie bilden eine Vorbereitungszeit auf die ernsten und schwierigen Momente der Hohen Feiertage, und eine besondere Gelegenheit bereits vor Rosch ha-Schana umzukehren. Das ganze ist nicht selbstverständlich.
Maimonides bemerkt, dass wir eigentlich immer, an jedem Tag des Jahres angehalten sind, unser eigenes Verhalten (nicht das unserer Mitmenschen!) kritisch zu begutachten, gegebenenfalls Teschuwa zu tun und uns neu zu orientieren, um die Erkenntnis um unsere Fehler und Schwächen dazu zu nutzen, unseren Charakter und unsere Verhaltensweisen ständig zu verbessern (Rambam Hilchot Teschuwa 1:1).
Doch gilt gerade der Monat Elul als eine besonders günstige Zeit, dieses mitunter nicht ganz einfache und manchmal sogar schmerzhafte Unterfangen anzugehen, sich selbst – ehrlich und rücksichtslos – unter die Lupe zu nehmen, um aus dem eigenen Fehlverhalten zu lernen und es von nun an besser zu machen. In den wenigen noch verbleibenden Tagen des alten Jahres, ist dies auch die letzte Gelegenheit unsere schlechten Gewohnheiten abzulegen, denen wir erlaubt haben Teil unserer selbst und unserer Persönlichkeit zu werden, um einen tatsächlichen Neuanfang zu machen. Wichtig ist, es selbst dann nicht unversucht zu lassen, auch wenn wir in der Vergangenheit schon unzählige Male, trotz bester Absichten, an bestimmten Punkten immer wieder gescheitert waren!
Warum aber genau diese vierzig Tage?
Nach der Sünde unserer Vorfahren mit dem goldenen Kalb, vor der Mosche die Luchot – die zwei Steintafeln mit dem Zehnwort – öffentlich am Boden zerbrach, erwirkte er Sühne für das Volk und stieg wiederholt für vierzig Tage auf dem Berg Sinai, um neue Luchot von G“tt beschriften zu lassen (siehe Schemot 32:19). Wer bewusst ist, dass die Offenbarung am Berg Siani an Schawuot stattfand und nachrechnet kann leicht einsehen, dass Mosche den Berg am Rosch Chodesch Elul zuletzt bestieg. Nach dem Talmud hat der Liebe G-tt in jenen 40 Tagen den Kindern Israels alle ihre Verfehlungen und Übertretungen verziehen (Talmud Joma 86a; Pirkej De-Rabbi Elieser 46). An diesen 40 Tagen bis zu Jom Kippur sind die himmlischen Schaarei Ha-Rachamim (Tore der Nachsicht und Vergebung), bildlich gesprochen, weit geöffnet um unser ehrliches Ansuchen um Vergebung unserer Sünden und Unterstützung bei der Umsetzung unserer guten Vorsätze, hinein zu lassen um bei G’tt, der uns liebt, Gehör zu finden.
Hinweise aus Akronymen und Zahlenwerten
Der weise König Schlomo beschreibt das Verhältnis G’ttes zum jüdischen Volk mit dem berühmten Ausspruch: „Ani Ledodi, Wedodi Li” – „Ich gehöre zu meinem Geliebten und mein Geliebter gehört zu mir“ (Schir Ha-Schirim 6:3), wobei die vier Anfangsbuchstaben dieser Worte, Aleph-Lamed-Waw-Lamed das Wort ELUL buchstabieren.
Diese gleiche vier Worte enden alle mit dem Buchstaben JUD, welches auch einen Zahlenwert von 10 hat, so dass zusammen die Addition des Zahlenwerts 40 ergibt. Dies repräsentiert gleich auch die 40 Tage zwischen Rosch Chodesch Elul und Jom Kippur, eine Zeit mit einer potentiellen besondere Nähe zu G“tt.