Von Rabbiner Schlomo Hofmeister
[Wer derzeit die Synagoge besucht, hört am Ende des Morgengebetes, und in manchen Synagogen auch am Ende des Abendgebetes den Schofarschall, obwohl es noch längst nicht Rosch ha-Schana ist (na ja, “längst” ist relativ). Wieso? Übt man etwas vor dem großen Auftritt? Rabbiner Hofmeister erkundigt Bräuche des Monats Elul und klärt für uns diese zwei Erscheinungen auf. ─AF]
Schofartöne in der Wüste
Nach einer Erklärung aus dem Midrasch (Midrasch Rabba, Ki Tissa) bliesen die Kinder Jissraëls täglich das Schofar (das Widderhorn), während sich Mosche Rabbenu auf dem Berg Sinai aufhielt, um die neuen Luchos, die Steintafeln mit den 10 Geboten zu empfangen; sie taten das aus eingener Initiative um sich selbst warnend daran zu erinnern die Werte, Gebote und Vorschriften der Tora von nun an zu befolgen.
Der Schofarton als Wortbild
Der Prophet Amos prophezeite: „Fürchtet sich das Volk nicht, wenn das Schofar in der Stadt erschallt?“ und „Der Löwe hat gebrüllt, wer hat sich da nicht gefürchtet?“ (3:6, 8). Arjeh, das hebräische Wort für Löwe, wird buchstabiert Aleph-Rejsch-Jud-Hej. Dies enthält ebenfalls eine Anspielung auf diese besondere Zeit von Elul („Aleph“), über Rosch Ha-Schana („Rejsch“) und Jom Kippur („Jud“), bis Hoschana Raba („Hej“).
Basierend auf diese Quellen entwickelte sich der Brauch, während des Monats Elul jeden Tag das Schofar zu blasen – ein Weckruf, der tief in unsere Herzen vordringt, um uns zu bewegen zu den jüdischen Werten und Vorschriften der Tora zurückzukehren, beziehungsweise unser Leben, unser Benehmen und Verhalten neu daran auszurichten.
Der grosse deutsche Rabbiner Jakow ben Mosche Ha-Lewi Möllin (1365-1427), genannt nach dem Akronym seines Namen „der Maharil“, bezeichnet den rufenden Klang des Schofar als Aufruf zur Buße (Hilchot Aseret Jemej Teschuwa). Die jüdische Moral- und Ethiklehrer, die Baalej Mussar asoziierten ihn mit jenem bereits erwähnten himmlischen Aufstieg von Mosche Rabbenu im Monat Elul, als er die zweiten Luchos erhielt. (Quellen: Machsor Vitri, Pirkei DeRabbi Elieser, Tur, Lewusch, Orach Chaim 581)
Der schrille Schofarton
Der Klang des Schofar erfüllt eine doppelte Funktion: es ist nicht nur ein Weckruf, um uns aus unserer Lethargie und der selbstgerechten Zufriedenheit mit uns selbst aufzurütteln, sondern gleichzeitig ein flehender Hilferuf um die Nachsicht und den Beistand G’ttes – wie das Schluchzen eines Kindes, ein reiner, emotionaler Ausdruck, weder mit Worten erklärbar noch durch den Intellekt begreifbar, und doch zweifelsohne und klar verständlich.
„Raw Abbahu erklärt: Warum wir das Schofar blasen? Weil HaKodosch Boruch Hu (der Heilige, gepriesen sei Sein Name) sagt: lasse das Schofar für mich erklingen, damit ich um euretwillen der Akedas Jitzchak gedenke (die Episode als Awraham Awinu in der Befolgung des Willen G’ttes sogar bereit gewesen wäre seinen Sohn Jitzchak zu opfern).“ (Talmud, Rosch HaSchana 16a)