Die Erleuchtung der Seele und die Erwärmung des Herzens – Gastbeitrag

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Austrian-German_Swiss_flags-tinyVon Rabbiner Schlomo Hofmeister

Der Baal Schem Tov (1698-1760), der Gründer des osteuropäischen Chassidismus, misst Chanukka eine ganz besondere transzendente Bedeutung bei. Das zentrale Thema von Chanukka ist Licht – ein Sinnbild für die Erleuchtung der Seele und die Erwärmung des Herzens. Die Dunkelheit und Kälte der Winternächte wird durch den warmen Schein der Chanukka Lichter in lebendige Helligkeit verwandelt. So wie Schalom (Frieden) nicht nur die Abwesenheit von Streit und Konflikt, sondern ein eigenes positives Momentum darstellt, wie Rabbiner Samson Raphoel Hirsch (1808-1888) erklärt, so ist auch Dunkelheit und Kälte, nicht physikalisch aber mystisch gesprochen, nicht mit der blosen Abwesenheit von Licht und Wärme zu verwechseln! Woher nehmen die Lichter der Chanukkia aber die Fähigkeit die kalte Dunkelheit nicht nur zu verdrängen, sondern selbst in warmes Licht umzuwandeln?

Die ersten beiden hebräischen Buchstaben des Wortes Chanukka, „Ches“ und „Nun“, bilden das Wort Chen (Schönheit, Gefallen). Dieses Wort erscheint zum ersten mal in der Tora am Ende des Wochenabschnitts Bereschit, wo es heisst: „Und Noach fand Chen in den Augen G’ttes.“ (Bereschis 6:8) Der Name Noach wird im Hebräischen ebenfalls mit diesen beiden Buchstaben, wenn auch rückwärts, „Nun“ und „Ches“ buchstabiert. An der buchstäblich symetrischen Gegenüberstellung der beiden Worte CH(e)n und n(oa)CH erkennen die Quellen der jüdischen Mystik einen Aspekt von Gleichgewicht und Symetrie in der tieferen Bedeutung des Wortes Chen, vor allem im Zusammenhang von zwei gegenteiligen, sich spiegelnden und so eine Einheit bildenden Bestandteilen. Die beiden das symetrische Gleichgewicht von Chanukka bildenden Gegensätzlichkeiten sind Dunkelheit und Licht; oder wie es der Sohar (Hauptwerk der Kabbalah) beschreibt: „Die Transformation von Chschecho (Dunkelheit) in Nahoro (Licht)“ – wobei die beiden Anfangsbuchstaben wiederum das Wort Chen bilden. Der Mathematiker Felix C. Klein schrieb: „Reflexive Symetrie ist das Ergebnis zweier gegensätzlicher Bestandteile, die eine verborgene Verbindung zueinander haben, die ihre gemeinsame Grundlage darstellt.“ Genauso verhält es sich mit Dunkelheit und Licht. So wie die Farbe Schwarz „hervorscheint“, hat die Dunkelheit das Potential zur „Erleuchtung“. Und wie helles Licht unsere Augen blenden kann, trägt es in sich das Potential von „Dunkelheit“. in Wahrheit bedeutet das, dass diese dem blendenden Licht innewohnende Dunkelheit ein grösseres Potential an „dunkel“ hat, als die eigentliche Dunkelheit, und gleichermaßen birgt das verborgene Licht der Dunkelheit ein höheres Erleuchtungspotential als das offene Licht.

Das Wunder von Chanukka steht für die Fähigkeit jenen G’ttlichen Funken zu entzünden, den wir alle versteckt in uns tragen, egal ob wir uns seiner Existenz bewusst sind und egal wie weit wir uns von ihm entfernt haben. Das Geheimnis von Chen an Chanukka bedeutet, dass alle Juden, obwohl es oft scheint als herrsche permanenter Streit und Konflikt zwischen uns, in Wahrheit, im tiefsten Inneren unserer Selbst, doch einig sind. Ein klassisches Beispiel sind die notorischen Meinungsverschiedenheiten der beiden talmudischen Schulen Beit Schammai und Beit Hillel. Eine ihrer berühmtesten Auseinandersetzungen betrifft die Frage, in welcher Reihenfolge man die Chanukkia anzünden soll. Beit Hillel sagt, und dieser Meinung folgen wir in der Praxis, man beginne am ersten Abend mit einem Licht und füge jeden der folgenden Tage ein weiteres hinzu. Beit Schammai sagt, man solle es genau umgekehrt machen und am ersten Abend alle acht Lichter anzünden und an jedem der folgenden Tage eins weniger bis am letzten Abend nur noch ein einziges Licht brennt. Beide Meinungen sind logisch überzeugend fundiert und entsprechen als solches der Wahrheit und sind richtig – jede im Kontext ihrer jeweiligen Realitäten, die zusammen eine geschlossene Einheit bilden.

Mögen wir alle erfahren, wie das Licht von Chanukka unsere Gegensätzlichkeiten harmonisiert, die Dunkelheit in Licht verwandelt und uns in Chen vereint, auf dass wir würdig sein mögen, das Kommen von Moschiach, das Ende unseres Exils und den so lange ersehnten Wiederaufbau des Beit Hamikdasch mit zu erleben – bald in unseren Tagen!

2 Responses to Die Erleuchtung der Seele und die Erwärmung des Herzens – Gastbeitrag

  1. Maschi Mermelstein-Stössel says:

    “Beit Schammai sagt, und dieser Meinung folgen wir in der Praxis, man solle es genau umgekehrt machen und am ersten Abend alle acht Lichter anzünden und an jedem der folgenden Tage eins weniger bis am letzten Abend nur noch ein einziges Licht brennt.”
    Ich verstehe hier, dass wir der Lehre Beit Shammais folgen. Das ist falsch.

    • Arie Folger says:

      Das war natürlich ein Copy/Paste-Fehler, die ich wegen einer Auslandsreise gar nicht bemerkt hatte. Ich verdiene die Kritik, weil ich den Artikel ohne ihn vertieft zu lesen, gepostet hatte. Übrigens hatte ich ihn schon vor einer Woche gepostet, mit der Einstellung, dass er diese Woche erscheint. Wird bald korrigiert. Danke.

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