Im letzten Jahr seines Lebens, also 1937 nahm der Munkaczer Rebbe, Raw Chaim Eluser Shapira (1868-1937), auch bekannt nach seinem Buch als Minchas Eluser, wie immer am ersten Tag des Monats Elul seinen Schofar heraus, um seinen Zustand zu überprüfen. Sein Enkel Herschele, der damals im selben Raum war, war aufgeregt, den Schofar zu sehen und das Geräusch zu hören. Er fragte seinen Großvater: „Sajde, noch a bluhs!“ [Opa, noch ein Klingelton, bitte!], den der Großvater akzeptierte, um seinem Enkel zu gefallen. Während des ganzen Monats Elul wurde die Szene zu einem kleinen Familienritual zwischen dem Großvater und seinem Enkel: Der alte Raw blies dem kleinen Herschele einen extra langen Schofarton.
Am Vorabend von Rosch ha-Schana verlangt die Halacha ausnahmsweise NICHT den Schofar am Morgen erklingen zu lassen. Herschele, der eifrig auf seine Morgenglocke wartete, war bitter enttäuscht. Sein Großvater erklärte ihm, dass der Schofar Erew Rosch ha-Schana nicht ertönt: “Morgen werden wir viel mehr in der Synagoge klingeln”. Aber das Kind lehnte jede Erklärung und jeden Versuch ab, ihn zu trösten. Unter Tränen fragte er weiter von seinem Großvater: “Sajde, noch a bluhs! Noch a Bluhs!“ [Opa, noch ein Klingelton! Ein weiterer Klingelton!]. Nach einer Weile hatte der Minchas Eluser Mitleid mit seinem Enkel und blies den Schofar, um ihn zu beruhigen.
Zu Rosch ha-Schana pflegte der Munkaczer Raw die Gemeinde anzusprechen. Er stieg zum Aron Kodesch hinauf. Statt aber sich zu der Gemeinde zu wenden, öffnete er die heilige Lade und erklärte öffentlich: „Herr der Welt, ich habe Teshuwa zu tun … Ich gebe zu, das Gesetz gebrochen zu haben. Trotz der Halacha, zu Erew Rosch Haschana den Schofar nicht ertönen zu lassen, habe ich das getan.“
Dann fügte er hinzu: „Herr der Welt, weißt du, warum ich die Halacha übertreten habe? Weil mein Enkel auf dem Boden lag und weinte und schrie, dass ich einen einzigen Schofarton läute. Mein Herz schmolz dahin, es war unerträglich, ihn so zu sehen, und ich habe den Schofar geblasen, obwohl es verboten war.“
„Herr der Welt! Wie kann man schweigen, während Millionen von Deinen Kindern auf dem Boden sind und Dich anflehen? Tatte, noch a Bluhs! Teka’ be-Schofar gadol le-Chejrutejnu [Vater noch einen Klingelton! Lasse den großen Schofar unserer Erlösung ertönen!].“
„Und selbst wenn der Moment noch nicht gekommen ist, und selbst wenn der Maschiach noch nicht kommen sollte, und trotzdem … Deine Kinder weinen, wie kannst du ihnen nicht zuhören?“
Augenzeugen berichten, dass die kollektive Emotion an diesem Tag in Munkacz so intensiv war, dass das Gebet für eine sehr lange Zeit unterbrochen werden musste, um schließlich seinen Kurs wieder aufzunehmen …1
1Diese Geschichte wurde zum Schofarblasen am 2. Tag Rosch haSchana im Wiener Stadttempel erzählt. Quelle: Samuel C. Heilman, Who will lead us?, p. 277-278.