Zwischen Jerusalem und Rom – die offizielle deutsche Fassung

October 30, 2017

Die formelle Übermittlung der wortwörtlichen deutschen Fassung der Deklaration Between Jerusalem and Rome vom Rabbinat und Präsidium der Israelitischen Kultusgemeinde Wien an Kardinal Christoph Schönborn am 26.10.2017

Gedanken zu 50 Jahren Nostra Aetate

Austrian-German_Swiss_flags-tinyPräambel

In der biblischen Schöpfungsgeschichte formt Gott einen einzelnen Menschen als Vorfahr der gesamten Menschheit. Die unmissverständliche Botschaft der Bibel ist also, dass alle Menschen Mitglieder einer einzigen Familie sind. Nach der Sintflut wird diese Botschaft in der Erzählung von Noach bekräftigt, indem diese neue Phase der Geschichte wieder von einer einzelnen Familie eingeleitet wird. Am Anfang bezieht sich die göttliche Vorsehung auf die universelle, undifferenzierte Menschheit.

Als Gott Abraham, Isaak und Jakob auserwählte, vertraute Er ihnen einen doppelten Auftrag an Read the rest of this entry »


Meine besondere andere Liebe (Ansprache zu Kol Nidrej 5778 im Wiener Stadttempel)

September 30, 2017
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Der Stadttempel während des Kantorenkonzertes im Herbst 2016. Von Jom Kippur kann ich ja selbstverständlich (und hoffentlich) keine Bilder zeigen.

Austrian-German_Swiss_flags-tinyLiebe Freunde,

Toll, dass Ihr da seid, dass wir zahlreich zu Kol Nidrej und Ma‘ariw erscheinen. Ich betrachte es als einen der Höhepunkte des Jahres, dass wir in wenigen Minuten alle zusammen das Schema Jissraël sprechen werden. Jascher Koach!

Heute Abend möchte ich über eine große Liebe von mir sprechen. Nein, ich meine nicht von meiner Frau, die ich sehr tief liebe und der ich dauerhaft Dankbarkeit schulde, nein, ich möchte von einer anderen großen Liebe sprechen, und ich verspreche, dass meine Frau mir das verzeihen wird.

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Verbotene Mischungen

August 31, 2017

Austrian-German_Swiss_flags-tinyViele Menschen glauben, dass das Judentum botanische und zoologische Kreuzungen verbietet. Schließlich steht ja in unserer Parascha (22:9): „Du sollst deinen Weinberg nicht mit zweierlei Gewächs bepflanzen, damit nicht das Ganze dem Heiligtum verfalle, was du angepflanzt hast und der Ertrag des Weinbergs.“ Nur ist diese Interpretation nicht botanisch vertretbar. Aus Weizen, der bei Weinreben eingepflanzt wird, kann keine neue gekreuzte Pflanzenart wachsen. Im unmittelbar nächsten Vers verbietet die Tora übrigens unter dem gleichen Nenner von „Kilajim“, „zugleich mit einem Ochsen und Esel ackern.“ Vom einfach zusammen im … eingespannt zu sein, werden erst recht keine neuen gemischten Tierarten entstehen. Read the rest of this entry »


Kartelle und Monopole

August 18, 2017

Austrian-German_Swiss_flags-tinyDie Jüdische Allgemeine hat vor kurz meinen Beitrag zur Debatte bezüglich des vermeintlichen illegalen Kartels der großen Autohersteller veröffentlicht.

Was Politiker aus dem Talmud über den Umgang mit skandalösen Absprachen lernen können

Die deutsche Autoindustrie hat sich seit den 90er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen über die Technik, Kosten, Zulieferer und sogar über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen. An den Absprachen waren laut Schriftsatz des VW-Konzerns alle großen deutschen Autobauer beteiligt«, berichtete der »Spiegel« vor wenigen Wochen.

Fünf große deutsche Autohersteller sollen technische Einzelheiten vereinbart haben. Diese sollen zum Dieselabgasskandal geführt haben, weil die vereinbarten Standards nicht ausreichten, um die Ausstöße tatsächlich von Abgasen zu säubern. Das vermeintliche Kartell vereinbarte aber auch die Auswahl der Lieferanten und die Preise verschiedener Fahrzeugbauteile.

Inspiration

Die Staatsanwaltschaft wird nun zuerst prüfen müssen, ob Grundlage für eine Anklage besteht. Wird vor Gericht tatsächlich Anklage erhoben, werden die Richter entscheiden müssen, welche Sanktionen fällig werden. Können Staatsanwaltschaft, Richter und Gesetzgeber diesbezüglich aus Talmud und Halacha Inspiration schöpfen und allgemeine Richtlinien entnehmen? Was sagt die Halacha zu Kartellen und deren Vereinbarungen? Read the rest of this entry »


Weshalb zählen, oder wozu?

July 11, 2017
Philippoteaux_The_Numbering_of_the_Israelites

Die Volkszählung der Israeliten, Philippoteaux

Austrian-German_Swiss_flags-tinyIm Buch Bamidbar das wir der­zeit lesen werden Zahlen, oder besser gesagt Zählungen, groß geschrie­ben. Am Anfang des Buches Bamidbar werden die zwölf Stämme gezählt, mit Ausnahme des Stam­mes Lewi, das unmittelbar danach separat gezählt wird. In unserem Wochen­abschnitt wird die Volks­zählung der zwölf Stämme (wie­der­um, mit Ausnahme des Stammes Lewi, welches separat und nach anderen Alterskriterien gezählt wird) erneut durchgeführt. Daher ist es kein Wunder, dass unsere Weisen das Buch auch Chomesch ha-Pekudim — das Buch der Volkszählungen — nennen, was freilich in Lateinisch Numerii heißen könnte. Verzeihung, es Read the rest of this entry »


Sollen jüdische Gemeinden und Institutionen “Vaterjuden” aufnehmen?

July 3, 2017

‘Solomon and the Queen of Sheba’ by Giovanni Demin. (Public Domain)

 

Austrian-German_Swiss_flags-tinyDie Jüdische Allgemeine hat nun meinen Beitrag zur Debatte, ob man “Vaterjuden” in jüdischen Gemeinden aufnehmen soll, veröffentlicht. Da der Beitrag für das Format “Pro & Contra” der Jüd.Allg. leicht gekürzt werden müsste, poste ich hier die vollständige Version. –AF

Eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft in jüdischen Gemeinden ist, dass die Antragsteller jüdisch sind. Nicht nur in traditionellen jüdischen Gemeinden, zu denen sowohl orthodoxe als auch Einheitsgemeinden zählen, sondern in Deutschland auch in den liberalen oder Masorti/Conservative-geprägten Gemeinden gilt als Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren oder in einem von der Gemeinde anerkannten Übertritt zum Judentum konvertiert ist.

Will man also die Frage klären, ob Menschen mit jüdischem Vater, Menschen jüdischer Herkunft, die laut Religionsgesetz nicht als jüdisch gelten, für eine Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde in Betracht kommen, dann kann man die Frage aus zwei Blickwinkeln betrachten: Warum gilt dieser Mensch nicht als jüdisch, und wieso nimmt eine jüdische Gemeinde grundsätzlich nur Juden als Mitglieder auf?

Wer ist Jude? Read the rest of this entry »


Chukim und Mischpatim – verschiedene Arten Mizwot

June 30, 2017

Austrian-German_Swiss_flags-tinyAls Raw Yehuda Amital einst den Schabbat in einem religiös & sekulär gemischten Moschaw verbrachte, beteiligte sich eine sichtbar sekuläre junge Dame am Schabbatprogramm und fragte ihn irgendwann: Kewod haRaw (Herr Rabbiner), ich bin vom heutigen Schabbat sehr angetan. Es ist sehr berührend, wie Ihr den Schabbat leidenschaftlich feiert, ja, ihn in der Seele spürt und überhaupt nach der Tora lebt. Ich bin nun entschlossen, ebenfalls datija (religiös) zu werden. Wie soll ich anfangen?“

Daraufhin antwortete Raw Amital:

Suche dir drei Mizwot aus, die du bereits anfangen möchtest einzuhalten. Aber nicht irgendwelche drei, sondern suche dir eine Mizwa aus, die Read the rest of this entry »


Wozu sendete Mosche Kundschafter?

June 15, 2017

Austrian-German_Swiss_flags-tinyAm Anfang der Parascha dieser Woche sendet Mosche zwölf Kundschafter, um das Heilige Land zu erkunden. Leider hat diese Aktion desaströse Folgen, denn trotz des schönen, fruchtbaren Landes, das sie besuchen, schließen sie in ihren Bericht eine Warnung mit ein (Bamidbar 13:31): Die Männer, die mit hinaufgezogen waren, sprachen: Wir können nicht hinaufziehen gegen das Volk, denn es ist uns zu stark! Als Folge davon weigert sich das Volk, in das Heilige Land einzureisen. Dafür wird es bestraft und darf nicht mehr einreisen, sondern bleibt 40 Jahre in der Wüste, bis jene Generation ausgestorben ist; erst die Kinder und Enkelkinder dieser Generation ziehen in das Heilige Land.

Was ist hier falsch gelaufen? Hatte Mosche die Kundschafter nicht „al Pi haSchem“, nach dem Geheiß G“ttes, entsendet? Read the rest of this entry »


Nach welchem Prinzip wurden die Abschnitte der Tora organisiert?

June 9, 2017

Close-Up des Codex Leningrad – ein wesentlicher Manuskript des Tanachs aus dem 11. Jahrhundert

Austrian-German_Swiss_flags-tinyWenn wir Tora lesen, merken wir relativ schnell, dass sämtliche Abschnitte größere Einheiten bilden, in denen es eine Chronologie, eine zeitliche Reihenfolge gibt. So beginnt das Buch Berejschit mit der Erschaffung der Welt, erst nachher folgt die Sintflut und danach die Geschichte unserer Vorväter. Die Geschichte Abrahams kommt zuerst, bevor die Geschichten seines Sohnes Jitzchak und seines Enkels Jaakow erzählt werden. Das Buch schließt mit der Geschichte der vierten Generation.

Auch im Buch Schemot gibt es eine allgemeine zeitliche Reihenfolge: Die Israeliten werden versklavt und unterdrückt, Mosche wird unter diesen Umständen geboren, wächst auf, sieht das Leid seiner Brüder, flüchtet und kommt zurück, um sie auf Geheiß G“ttes zu erlösen. Ägypten lässt das Volk Israel nach zehn schrecklichen Plagen fortziehen, in der Wüste offenbart sich G“tt und vermittelt das Zehnwort, und das Volk Israel baut ein Stiftzelt, um die Präsenz G“ttes auch nach dem Wegzug vom Berg Sinai in ihrer Mitte genießen zu können. Es passt chronologisch. Eine ähnliche Analyse würde auch zu den anderen drei Büchern des Pentateuchs passen.

Dennoch passt das chronologische Modell nicht ganz. Read the rest of this entry »


Fremdlinge und Ansässige seid Ihr bei Mir – Zum Sinne des Buchs Wajikra

May 18, 2017

Anfang des Buchs Wajikra im Codex Aleppo

Austrian-German_Swiss_flags-tinyKönnen wir nun Speck essen? – fragte zuletzt ein Artikel in der israelischen Zeitung Haaretz, der behauptete, dass die Gesetze des Buches Wajikra vielleicht nur für die Kohanim (Priester) gemeint waren.1

Dass die Haaretz sich irrt, ist leicht zu beweisen. Viele Ge- und Verbote werden ausdrücklich an das gesamte Volk gerichtet („Spreche zu den Kindern Israels“), und ausgerechnet in diesem Buch begegnen wir vielen Ge- und Verboten zur Ehrlichkeit (Wajikra 19:11-13: „Ihr sollt einander nicht bestehlen, nicht belügen noch betrügen … nicht falsch schwören … deinen Nächsten weder bedrücken noch berauben…“) und den Wohltätigkeitsgesetzen, die selbstverständlich nicht nur für die Kohanim gelten.

Dennoch beweist der Artikel, was Rabbiner Joseph Ber Soloveitchik vor einigen Jahrzehnten auf Jiddisch sagte Read the rest of this entry »