Simchat Tora – Das Fest, das spät (aber nicht zu spät) zur Feier kam

October 23, 2019
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Simchat Tora in Tel Aviv, 2008 – Wikimedia Commons

Austrian-German_Swiss_flags-tiny[Folgender Text ist eine etwas längere, vollständigere Version eines Artikels meiner Wenigkeit, der in der Jüdischen Allgemeine erschien.]

„Ja, ich habe gehört, dass es noch einen Feiertag gibt, aber selbst kann ich nicht frei nehmen, da ich bereits für die Hohen Feiertage frei genommen habe«, erwiderte mein jüdischer (aber leider jüdisch nicht besonders versierter) Professor, als er zustimmte, dass ich eine für Sukkot vorgesehene Prüfung einige Tage früher ablegen kann.

In der Tat ist der jüdische Kalender im Monat Tischri stark mit Feiertagen besetzt. Auf Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot folgen die Feiertage Schemini Azeret am 22. und das große Finale, also Simchat Tora – das Torafreudenfest am 23. Tischri. Jährlich stellen viele Juden unter Beweis, dass jüdische Feiertage heilig und unverhandelbar sind, wenn sie im Tischri mehrere Tage arbeitsfrei nehmen.

Und trotz der von Rosch Haschana, Jom Kippur (wegen der festlichen Mahlzeit vor dem Fasttag und des unvermeidlichen Esswettbewerbs unmittelbar danach) und Sukkot zu eng gewordenen Hosen werden sie sich zu den zwei letzten Feiertagen wieder jeweils nach dem G’ttesdienst an die Festtafel setzen. Da wundert es, dass der fakultative Brauch, zwischen Sukkot und Pessach jeweils am Montag und Donnerstag zu fasten, nicht populärer ist. Immerhin muss ja für die Krapfen und Latkes von Chanukka Platz geschaffen werden. Read the rest of this entry »


Frauen im Judentum

October 10, 2019

Das jüdische Echo - Vol68 Cover

Austrian-German_Swiss_flags-tinyEva ist gleich viel wert wie Adam, dessen Name ja „Mensch“ bedeutet. Ein jüdischer Ausblick

[Erschien im Jüdischen Echo Band 68 – Erfahren Sie hier mehr zu diesem Band, einschließlich, wo es zu beziehen.]

Und Gott schuf den Menschen in Seinem Ebenbilde, im Ebenbilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie. (Genesis 1:27)

Da sprach der Mensch: Das ist nun einmal Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch! Die soll Männin heißen; denn sie ist dem Mann entnommen! Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und hänge seiner Frau an, dass sie zu einem Fleische werden. (ebd. 2:23-24)

Der Status der Frau im Judentum und in anderen traditionellen Konfessionen ist umstritten. Religionskritiker betonen gerne Ausdrücke und Sprüche, die belegen sollen, dass zu der einen oder anderen Konfession primitive Auffassungen bezüglich Frauen gehören, und deshalb moderne Menschen sich nicht nach Religionen ausrichten sollen, während Anhänger der jeweiligen Religionen ihre Quellen gerne so auslegen, dass sie auch in modernen Ohren relevant bleiben, ohne allerdings wichtigen Lehren dieser oder jener Konfession zu widersprechen. Beide Arten von Auslegungen wurden auch bezüglich des Judentums angeboten.

Ob ein Leser nun eher die kritischen oder die apologetischen Argumente akzeptiert, ist häufig nicht eine Folge der Stärke der Argumente, sondern eher die Folge der eigenen bereits bestehenden Neigungen. Intelligente, weltoffene Leser lernen aber, diese eigene prä-existierenden Neigungen zu überwinden. In diesem Geiste schlage ich den Lesern des Jüdischen Echos vor, uns mit einigen traditionellen jüdischen Quellen und Denkern auseinanderzusetzen. Read the rest of this entry »


Marathonkonzertlesung “Die Freiheit Kam im Mai”

October 2, 2019

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DeutschAm 7. Oktober 2018 fand auf dem Wiener Stephansplatz die 14-stündige Marathonkonzertlesung des Buches „Die Freiheit kam im Mai“ des ehemaligen Häftlings im KZ-Mauthausen Iakovos Kambanellis statt. Der Veranstaltungstag wurde zur Erinnerung an die wahrscheinlich größte Anti-Nazidemonstration auf einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet gewählt. Die Marathonkonzertlesung ist nun in 12 Videofilmen auf dem YouTube Kanal “Marathonkonzertlesung – Die Freiheit kam im Mai” abrufbar. Den Ehrenschutz übernahmen Kardinal Christoph Schönborn, der lutherische Bischof Michael Bünker, der Oberrabbiner Arie Folger, der Metropolit Arsenios Kardamakis, der Altpräsident Österreichs Heinz Fischer und der Altpräsident Griechenlands Karolos Papoulias.

Caritas-Präsident Michael Landau war dabei, Schauspieler Harald Krassnitzer und Schauspielerin Adele Neuhauser sowie Altbundespräsident Heinz Fischer: Sie gehören zu den 100 Persönlichkeiten, die am 7. Oktober 2018 in einem Zelt auf dem Wiener Stephansplatz aus dem Buch des griechischen Schriftstellers Iakovos Kambanellis gelesen haben. Read the rest of this entry »


Tatte, bluhs noch a mul

September 18, 2018

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DeutschIm letzten Jahr seines Lebens, also 1937 nahm der Munkaczer Rebbe, Raw Chaim Eluser Shapira (1868-1937), auch bekannt nach seinem Buch als Minchas Eluser, wie immer am ersten Tag des Monats Elul seinen Schofar heraus, um seinen Zustand zu überprüfen. Sein Enkel Herschele, der damals im selben Raum war, war aufgeregt, den Schofar zu sehen und das Geräusch zu hören. Er fragte seinen Großvater: „Sajde, noch a bluhs!“ [Opa, noch ein Klingelton, bitte!], den der Großvater akzeptierte, um seinem Enkel zu gefallen. Während des ganzen Monats Elul wurde die Szene zu einem kleinen Familienritual zwischen dem Großvater und seinem Enkel: Der alte Raw blies dem kleinen Herschele einen extra langen Schofarton. Read the rest of this entry »


Die Hohen Feiertage – eine Öffnung in der Zeit

September 18, 2018

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DeutschDie Sehnsucht nach G“tt und nach unserer jüdischen Seele ist ein Teil des Prozesses der Teschuwa. Obwohl mit diesem Begriff die Reue über Verfehlungen und Umkehr von der Sünde verstanden wird, heißt Teschuwa wörtlich Rückkehr oder Heimkehr. G“tt sagt zu uns – das ist in der Haftara des Schabbat, der auf Rosch haSchana folgt – Schuwa Jissraël ‚ad haSchem E-lohekha, „kehre zurück, Israel, zum Ewigen dein allmächtiger G“tt.

Rückkehr muss nicht außergewöhnlich sein, Read the rest of this entry »


Was ist Heimat?

September 14, 2018

Zeitschrift

Austrian-German_Swiss_flags-tinyAls Jude kann man sich tief mit Israel verbunden fühlen und zugleich ein guter Europäer, ja sogar beim Fußball ein Lokalpatriot sein. Es ist auch moralisch wichtig, darüber nachzudenken, wie Staaten mit den Fragen der Zugehörigkeit ‒ zu einem Land, zu einer Religion ‒ umgehen. Mancherorts sind vor langer Zeit mühsam errungene Freiheiten in Gefahr.

[Erschien im jüdischen Echo Band LXVII, hier erhältlich]

Während ich diese Zeilen schreibe, empfinde ich eine merkwürdige Euphorie. Obwohl ich in meinem Leben kaum Fußball gespielt habe und noch wesentlich weniger Fußballspielen zugeschaut habe, freute ich mich über den Sieg der Roten Teufel – der belgischen Nationalmannschaft – gegen Japan im Achtelfinale der Weltmeisterschaft. Trotz eines katastrophalen Spielverlaufs, der die Japaner zu Beginn der zweiten Hälfte mit zwei Toren in Führung sah, gelang es den Roten Teufeln in der Folge auszugleichen und in der allerletzten Spielminute noch ein drittes Tor zu schießen und so das Spiel zu gewinnen.

Dass ich mich darüber freue, ist allerdings merkwürdig. Read the rest of this entry »


Halacha: Fasten, Essen und Trinken zu Jom Kippur

September 14, 2018
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Jakub Weinles (1870-1935) – Żydzi modlący sie w Jom Kippur

Austrian-German_Swiss_flags-tinyFasten zu Jom Kippur gehört zu den wichtigsten und strengsten Mizwot des Jahres und wird von Juden weltweit auch so wahrgenommen. Wiederholt zeigten israelische Meinungsumfragen, wie weit verbreitet die Mizwa eingehalten wird. Egal ob jemand unter dem Jahr orthodox, traditionell oder säkular lebt, zu Jom Kippur fasten die allermeisten Juden; weder essen, noch trinken sie.

Dennoch gibt es Situationen, in denen die Tora dieses Verbot nicht nur aufhebt, sondern einen Menschen verpflichtet, zu essen und zu trinken: Wer sonst in Lebensgefahr geraten könnte. Dann ist es nicht nur keine Mizwa, zu fasten, sondern eine Mizwa zu essen. Read the rest of this entry »


To Be or Not To Be

May 24, 2018
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Ist das das Bild eines Möchtegern-Nasirs?

Austrian-German_Swiss_flags-tiny[Ein Einsiedler] sein oder nicht sein, das ist die Frage

Die ausführlichere Fassung meines Aufsatzes im PUNKT N°097

Welcher ist der ideell-religiöse Zustand des Menschen? Soll er sich von dem Materiellen trennen, sich in Einsamkeit den religiösen Werten widmen, soll er von den üblichen Zeitvertrieben der Menschen absehen, oder darf und soll er sein religiöses Leben als ein in der Menschenwelt verwurzelter Mensch entfalten lassen? Es ist fast ein Cliché, dass das Judentum die religiöse Praxis im Diesseits wünscht, dass es im Judentum um die Heiligung des täglichen, normalen Leben geht. Aber eine besondere Mizwá erschwert uns, dieses Cliché in Stand zu halten: die des Nasiräertums. Read the rest of this entry »


Halacha-Ecke – Warum richten wir einen Eruw Tawschilin her?

April 3, 2018

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Fällt ein Jomtow an einem Freitag (und beginnt also der Jomtow-Tag am Donnerstagabend), dann werden wir Juden gemahnt, einen Eruw Tawschilin vor Jomtow herzurichten. Meistens besteht dieser aus einem Brot (diesmal eine Mazza!) und einem Ei, den wir vor Jomtow vorbereiten und aufbewahren. Dazu wird ein Segenspruch und ein unverständliche Text gesprochen. Wieso?

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Robotik, artifizielle Intelligenz und jüdische Utopie

December 7, 2017

Austrian-German_Swiss_flags-tinyDie Technologie entwickelt sich rasch und die Welt ändert sich schnell wie noch nie zuvor. Robotik hat seit Jahrzenhnten repetitive Aufgaben in der Industrie übernommen, Produktionskosten verringert und manche Arbeiter überflüßig gemacht. Dennoch haben die Wirtschaft und die Gesellschafft sich derart entwickeln können, dass dauernd neue lukrative Arbeitsplätze entstanden. In einer weiteren technologischen Welle wird Artificial Intelligence immer mehr eingesetzt. Gleicht diese Innovationswelle die früheren, und werden wir wieder genug neue Arbeitsplätze schaffen, oder ist die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ein Zeichen, dass sich die Wirtschafft grundsätzlich ändert? Wird sie sich noch grundsätzlicher ändern? Was werden die ökonomische und gesellschaftliche Folgen der Kombination der Robotik und der artifiziellen Intelligenz?

Das sind die Themen eines meiner Artikel, der zuletzt in der Zeitschrift Das jüdische Echo, Vol. 66, 2017/2018 | 5778, beim Falter Verlag. Read the rest of this entry »